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Your Holiday – Their Homes

Widerstand im Tourismus

von Elena Futter

Die negativen und fragwürdigen Seiten des Reisens sind nicht nur Gegenstand westlicher Tourismuskritik. Widerstand vor Ort gegen touristische Entwicklungen wird tendenziell wenig beachtet, ist aber kein neues Phänomen, sondern so alt wie der moderne Tourismus selbst. Der Widerstand ist ebensowenig wie sein Gegenstand eindimensional, sondern bezieht sich auf viele Themen und nimmt unterschiedliche Formen an.


Warum?

Gründe für Widerstand gegen Tourismus gibt es genug; wer sich durch die FernWeh-Seiten klickt, wird vielen Beispielen begegnen. Dazu gehören wirtschaftliche und ökologische Schäden durch Tourismus ebenso wie die Tatsache, dass die örtliche Bevölkerung zwar mit den negativen Seiten des Tourismus leben muss, aber nicht davon profitiert. Schlechte Arbeitsbedingungen im Tourismus, Enteignungen (die oft zum Verlust des traditionellen Lebensunterhaltes führen) zugunsten touristischer Erschließung, erhöhter Ressourcenverbrauch durch Touristen und mangelnde Mitbestimmung sind Ursachen für Proteste. Die Übermacht der Konzerne erzeugt Wut und Ressentiments, zumal häufig wesentliche Rechte der Bevölkerung missachtet und verletzt werden. Menschen werden zu exotischen Objekten abgewertet, ihr Aussehen, ihre Traditionen und Lebensweisen werden ebenso wie die Natur als Waren vermarktet.
Ein extremes Beispiel ist Burma, wo eine Militärdiktatur herrscht. Hier wurde und wird die Infrastruktur für den Tourismus zum Teil durch Zwangsarbeit aufgebaut und aufrechterhalten. Das Geld der Touristen finanziert die Repression.
Ausbeutung und Unterdrückung nehmen meistens subtilere Formen an. Aber auch anderswo profitieren undemokratische Regime, während die Bevölkerung leer ausgeht. Entsprechend richten sich Proteste gegen Touristen, gegen Konzerne, aber auch gegen Regierungen, die derlei Entwicklungen oft unter der Flagge der Entwicklung und des Fortschritts unterstützen und vorantreiben.


Wie?

Die Formen des Widerstands sind vielfältig. Gewisse Formen sind sehr etabliert, andere werden kaum wahrgenommen. Aktivitäten, die den Namen »Widerstand« am ehesten verdienen, finden vor Ort statt. Es handelt sich um konkreten Widerstand gegen Tourismusprojekte: Menschen verweigern z.B. die Umsiedlung oder greifen, wenn sie es sich leisten können, zu Rechtsmitteln und strengen eine Klage an. Demonstrationen, Streiks, Boykottaufrufe und Gewaltandrohung lassen sich ebenfalls hierunter subsumieren. Meist geht es den Betroffenen gar nicht um den Tourismus an sich, sondern einfach um die Verbesserung oder Erhaltung ihrer Lebenschancen.
Häufig ist dies mit Risiken verbunden. Beispielsweise wurde 1994 bei einer Demonstration gegen ein Tourismusprojekt in Bali, das unter anderem ein »Nirwana Resort« auf dem Gelände einer heiligen Stätte vorsah, auf die Demonstranten geschossen. Mehrere Studenten wurden verletzt und kamen ins Krankenhaus. Im selben Jahr wurden drei Wochenzeitungen, die sich kritisch zum Thema geäußert hatten, die Lizenzen entzogen. Angehörige einer Bürgerbewegung gegen den Chartertourismus im indischen Goa mussten sich vor Gericht verantworten, weil sie Flugblätter verteilt, Touristen beschimpft und Touristenbusse mit Kuhmist beworfen hatten. Andere Formen des Widerstands sind eher individuell und nicht organisiert, sondern werden überall von Tourismus-Beschäftigten durchgeführt, die sich gegen miserable Arbeitsbedingungen oder unverschämtes Verhalten von TouristInnen zur Wehr setzen.

Zu diesem Thema gibt es bislang sehr wenig Literatur, weder bezüglich organisierten Widerstands, noch über die persönlichen Strategien. Interessant bleibt das Thema, was Leute vor Ort über den Tourismus/die TouristInnen wirklich denken allemal.
Siehe dazu auch: Schülein, Steffen, The Making of... Hinterbühnen des globalen Tourismus, in iz3w 281, Nov/Dez 2004. Text 09 in Rubrik Theorie-Bar.




THE BEACH - Lizenz zum Umgraben.

Mit Umweltzerstörung für die natürliche Schönheit Thailands werben?

von Elena Futter

Bei den Dreharbeiten zum Film »The Beach« mit Teenie-Schwarm Leonardo DiCaprio ging es nur indirekt um Tourismus. Trotzdem steht der Vorfall beispielhaft für die Unterordnung rechtlicher, sozialer und ökologischer Erwägungen unter die Aussicht auf Deviseneinnahmen, die im Ferntourismus in Drittweltländern nur allzu oft vorkommt.

Es musste ein atemberaubend schöner Strand sein, breit genug zum Fußball spielen, und hohe Palmen sollten dort wachsen. So stand es jedenfalls im Drehbuch. Maya Bay, eine Bucht auf der thailändischen Insel Phi Phi Ley, schien der perfekte Ort zu sein. Na ja, fast. Die Produktionsfirma kaufte sich für 110.000 US-Dollar die Erlaubnis, in der Bucht zu drehen, und hinterlegte eine Kaution in Höhe von 138.000 US-Dollar, um für mögliche Umweltschäden zu haften. Obwohl sich Maya Bay in einem Naturschutzgebiet befindet, erteilte das »Royal Forest Department«, ohne vorher eine (gesetzlich vorgeschriebene) Umweltverträglichkeitsstudie durchzuführen, die Lizenz zum Umgraben. Nachdem Dünen mit Bulldozern platt gewalzt und andere aufgeschüttet, 60 ausgewachsene Kokosbäume eingepflanzt und die störenden Strandgräser ausgerupft worden waren, entsprach Maya Bay der Hollywood-Vision eines unberührten thailändischen Strandes. Die Dreharbeiten konnten beginnen.

Die massiven Proteste seitens Umweltorganisationen stießen auf Unverständnis. Premierminister Chuan Leekpai brachte es auf den Punkt: »Filming here will create more jobs and enhance our image, which is what every country wants.« Zudem hatte die Produktionsfirma versprochen, während der Dreharbeiten bis zu zehn Millionen US-Dollar in Thailand auszugeben (immerhin die Hälfte von Leos Gage). Die Tourismusindustrie begann mit »Leonardo-Tours« nach Maya Bay zu werben.

Auch der Hauptdarsteller selbst bezog Stellung. Am Hotel, das er während der Dreharbeiten bewohnte, hing ein Transparent mit der Aufschrift »Leo, stop breaking our laws and our hearts«. Die Proteste verstehe er nicht, sagte DiCaprio, schließlich habe die Crew drei Tonnen Müll von der Insel weg gebracht. Ihm sei keine umweltschädigende Wirkung bekannt und er sei überzeugt, dass die Insel nach den Dreharbeiten besser dastehen würde als zuvor. »Das Tolle an echten Rucksacktouristen«, so DiCaprio weiter, »ist, dass sie entlegenere Orte besuchen und die wirtschaftliche Lage der Leute verbessern, die dort leben. Ich glaube, dass ein Film wie dieser junge Leute motivieren wird, die Schönheit Thailands zu entdecken, und mehr junge Rucksacktouristen anlocken wird. Dieser Film wird auch mehr Leute motivieren, die Landschaft Thailands zu erkunden und entlegene Dörfer zu besuchen, die sonst nichts am Tourismus verdienen würden...«

Erst mal wird es keine Leonardo-Tours geben. Im April 2000 wurde der Strand geschlossen. Mit den Strandgräsern war der natürliche Erosionsschutz verschwunden, und die von der Produktionsfirma ersatzweise aufgestellten Bambuszäune hielten den Stürmen nicht stand. Das Versprechen, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, wurde nicht eingehalten. Die 138.000 Dollar Kaution werden 20th Century Fox wohl kaum in den Ruin treiben. Der Strand von Maya Bay aber ist unwiederbringlich zerstört. Auch die Tatsache, dass der Film floppte, ist nur ein schwacher Trost. Und das Image von Thailand? Angesichts der Versuche, den Drogentourismus einzudämmen, verwundert es, dass Offizielle einen Film bejubeln, der Thailand als Drogenparadies mit riesigen Cannabis-Feldern darstellt. Wie sich herausstellte, hatten die Zuständigen das Drehbuch nicht gelesen.

Quellen: diverse Artikel aus »new frontiers« und »akte-kurznachrichten«

Zitate zu The Beach (in englisch)

»THE movie will promote Thailand as a tourist spot with its beautiful beaches.« Plodprasop Suraswadee, Royal Forestry Department director-general [The Nation: 27.10.98]
»WE know that the film will bring us more tourists, and that this will put still further strain on our environment, which is already at the breaking point.« Surat Jepkhok, head of Phi Phi Don’s villagers’ committee [The Nation: 1.12.98]
»I for one would much prefer to spend one night alone on an unspoiled Phi Phi Leh than a hundred nights with your precious Leo (DiCaprio).« Rosarin Fuengprichavai, citizen [The Nation: 17.11.98]
»HOPEFULLY, someday we will realize that Thailand doesn’t need plastic surgery to attract more paying customers, and we don’t need Hollywood to tell us that the face of Thailand is already beautiful.« James Fahn, environmental journalist [The Nation: 30.10.98]
»THEY first sold the people as cheap labour, then they sold the forests, then the rivers and now this priceless land. The sale of Phi Phi to Hollywood will certainly qualify as the ping pong show of this sad strategy. What can we expect next – TAT (Tourism Authority of Thailand) auctioning the moonlight over Thailand?« Vichai Puthipucha, citizen [The Nation: 4.11.98]
»The Beach crew will soon leave. But we’re stuck with the authorities, who intent on selling the Thai people’s dignity and on exploiting their money cow until it drops dead.« Sanitsuda Ekachai, assistant editor of the Bangkok Post [Bangkok Post: 12.11.98]




Widerstand gegen Tourismusentwicklung. Der Fall Kuelap.

von Elena Futter

Kuelap liegt auf 3000 Metern Höhe in der peruanischen Provinz Amazonas und ist eine der bedeutendsten archäologischen Stätten des Andenstaates. Nun soll die Ruinenstadt aus der Vor-Inka-Zeit an private Investoren übertragen werden. In einem ersten Schritt war die Zufahrtsstraße mithilfe ausländischer Finanzierung verbessert worden. Um eine weitere touristische Erschließung zu ermöglichen, wurde das knapp 217 Hektar große Areal für »unantastbar« erklärt. Dadurch erhielt der Staat die alleinige Verfügungsgewalt über das Gebiet. Die Eigentumsrechte der BewohnerInnen wurden faktisch annulliert. Diese Verstaatlichung ist Voraussetzung für eine anschließende Privatisierung, die 2001 in einem vom Parlament bestätigten Dekret gesetzlich verankert wurde: danach soll das Gebiet zur kommerziellen touristischen Nutzung an ausländische Konzessionäre übertragen werden. Nun fordern ausländische Interessenten eine »bevölkerungsfreie« Übergabe des Areals. Das bedeutet für die BewohnerInnen vor Ort entschädigungslose Enteignung, was einem Verlust ihres Lebensunterhalts gleichkommt.

Die AnwohnerInnen – knapp 40 Bauernfamilien im Dorf Kuelap und umliegenden Dörfern – sehen sich als Nachkommen der Chachapoya und haben bisher selbst für den Erhalt der Ruinenstadt gesorgt. Über die angebliche »Schutzmaßnahme« wurden sie nicht informiert, von einer Konsultation ganz zu schweigen. Im November 2000 drangen Funktionäre des Nationalen Kulturinstituts (Instituto Nacional de Cultura, INC) ohne Erlaubnis und z.T. gewaltsam in die Wohnungen und Anbaugebiete der Bauern ein, deren Rechte sie offenbar als antastbar ansehen. Im selben Monat vernichtete ein mysteriöser Brand Felder und Waldgebiete in Kuelap. Die AnwohnerInnen wurden beschuldigt, den Brand selbst gelegt zu haben.

Die Pläne für das Areal, unter anderem für den Bau von Hotels und die Einrichtung archäologischer Parks, sind dem INC bekannt, gelten aber als »streng geheim« und werden den Betroffenen vorenthalten. Bislang hat es weder eine Umweltverträglichkeitsstudie noch eine Untersuchung über die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Privatisierung gegeben. »Wie sollen wir kämpfen, wenn wir nicht einmal wissen wogegen? Wir verlangen Aufklärung, um zu wissen, wovon wir in Zukunft leben sollen.«, so Juanita Rubio aus Kuelap. Unter anderem diesem Informationsdefizit wirkt die ADDK entgegen. Sie organisiert Informations- und Protestveranstaltungen in Kuelap und umliegenden Dörfern und informiert auf einer mehrsprachigen Webseite (www.descubrekuelap.com) über die Situation.

Die AnwohnerInnen haben sich in einem Komitee zur Verteidigung und Entwicklung organisiert. Einige Bauern haben vor dem »Ombudsmann des Volkes« (einer Rechtsinstanz des peruanischen Parlaments) Anzeige gegen die INC-Funktionäre erstattet. In einem offenen Brief an die Regierung forderten AnwohnerInnen eine aktive Einbeziehung in die touristische Erschließung sowie Mittel für den Erhalt der Ruinen. (Ohne Erfolg: in der Antwort des Tourismusministers wurden die Unterzeichnenden als »hinterwäldlerische und fortschrittsfeindliche Menschen« bezeichnet und der Zerstörung des kulturellen Erbes bezichtigt.) Sie verweigerten die Umsiedlung trotz der Drohungen durch INC-Funktionäre, das Gebiet notfalls durch die Armee räumen zu lassen.

Dass Tourismus Wohlstand bringt, gilt als Argument par excellence für eine touristische Erschließung. Doch Wohlstand für wen? Wohl kaum für die Bauern von Kuelap: Die chinesische Regierung förderte den Ausbau der Zufahrtsstraße – zufällig interessiert sich ein chinesisches Hotelunternehmen für das Areal. Ins Bild passt, dass die Ruinen nachts beleuchtet werden sollen, während die Versorgung der umliegenden Dörfer mit Strom nicht geplant ist.

»Das harmonische Zusammenleben der alten Peruaner mit der Natur ist erstaunlich. Die Chachapoyas, deren Geheimnisse heute unter der dichten Vegetation ruhen, lebten an diesem herrlichen Ort in Einvernehmen mit der Natur, hier wo die Wolken an die Berggipfel stoßen und die Zeit still zu stehen scheint.« (Tourismus-Werbung über Kuelap)

»Besuchen Sie die alten Chachapoyas und sehen Sie, was der Neoliberalismus zu bieten hat! Einsturz Jahrtausende alter Mauern; Enteignung Einheimischer; mehr Armut, mehr Unterdrückung und mehr soziale Ungleichheit; Zerstörung unserer Identität. Schließt euch an im Kampf gegen Kulturimperialismus!«

Plakat der ADDK (Asociación para la Defensa y Desarollo de Kuelap, Gesellschaft für die Verteidigung und Entwicklung Kuelaps).




Machu Picchu, Peru: Die Privatisierung eines Weltkulturerbes

von Marianne Frei (akte)

Touristische Hauptattraktion des notorisch verschuldeten Andenstaates Peru ist ohne Zweifel das Inka-Heiligtum »Machu Picchu«. 300’000 Personen besuchen es jährlich. 1996 hat Perus Ex-Präsident Fujimori den Ausverkauf des Weltkulturerbes eingeleitet und die Nutzungsrechte für 30 Jahre der Firma »Peru Hotels« übertragen. Dies ist eine Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Tourismuskonzerns »Orient Express«, der internationale Hotels, Eisenbahnlinien, Restaurants und Kreuzfahrten betreibt. Der Konzern verfügt nun sowohl über die »Machu Picchu Sanctuary Lodge« am Eingang zu den Ruinen, als auch über den Touristenzug von Cuzco und die Konzession für eine umstrittene Seilbahn direkt zu den Ruinen. Zum Bau ist es bisher nicht gekommen, wohl aber zu Protesten aller Art: Massendemonstrationen in Cuzco, Protestmärsche entlang der Eisenbahnstrecke nach Aguas Calientes, einer Siedlung am Fuß der Ruinen, und Sabotageakte an den Gleisen. Nur mehr ein Zug täglich ist für Einheimische vorgesehen; AusländerInnen haben keinen Zutritt. Alle anderen Züge verkehren zu hohen Dollarpreisen ausschließlich für TouristInnen. Bis zu 70 US-Dollar (für 70 Kilometer Zugreise ab/nach Cuzco), 18 Dollar (für neun Kilometer Busreise von Aguas Calientes bis zum Ruinengelände und zurück) und 20 Dollar Eintritt kostet der Spaß, hat der Geograf Günter Spreitzhofer recherchiert. Diese Preise machen den Besuch von Machu Picchu für die meisten PeruanerInnen unerschwinglich.
Das seit Jahren gehegte Seilbahnprojekt wurde Anfang 2001 nach massiven Protesten von UNESCO und dem »International Council of Scientific Associations« auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Doch bereits im August 2001 sprach Vize-Präsident Ramiro Salas wieder offen über das umstrittene Projekt. Gemäß der nun geplanten Routenführung käme die Bergstation gar inmitten des Ruinengeländes zu liegen. Warnrufe aus ökologischer Sicht werden lauter. Die UNESCO hat berechnet, dass sich bloß 300 Personen gleichzeitig in der Anlage aufhalten sollten, um keine dauerhaften Schäden zu verursachen. Geplant ist jedoch eine Erhöhung der Besucherkapazität auf bis zu 2’500 TouristInnen pro Tag. Die Menschen von Aguas Calientes unten im Tal sind damit nicht gemeint: Eintritt verboten, selbst für die sonst allgegenwärtigen SouvenirhändlerInnen.

Quellen:
Günter Spreitzhofer: »Die Privatisierung der Inkas« in SÜDWIND-Magazin, Nr. 12, Dezember 2002 (Zusammenfassung);
Tourism Watch Nr. 27, 9.7.2002;
Berichte von YACHAY WASI, Cuzco, Peru, vom 4.11.2001 und 29.7.2001 auf;
The Economist 21.7.2001;
Tages Anzeiger 7.6.2000 http://www.akte.ch/pages/ge/3_kuna/k1_03/kn103.html (Privatisierung Machu Picchu)




Die Tourismus-Terrorismus-Connection

Politik und Menschenrechte in den Urlaubsländern

von Christian Stock

»Bomben gegen Touristen«, »Gefahr in den schönsten Tagen des Jahres«, »Schon wieder Touristen entführt« - solche und andere Schlagzeilen schreckten uns in den letzten Jahren immer häufiger auf. Ob Costa Rica, Jemen oder Kaschmir - es scheint, als sei der Tourismus zum Schlachtfeld geworden. Hat man früher meist Spaß, Frieden und Erholung mit dem Fremdenverkehr assoziiert, so sind es heute Gewalt, Kriminalität und Terror. Im SPIEGEL-Spezial-Heft ›Urlaub total‹ (2/97) wurden dutzende Krisenherde in einer großen Weltkarte aufgelistet, die meisten davon in der Dritten Welt. Auch wenn der SPIEGEL in einseitiger Sichtweise die rassistische Gewalt gegen ausländische Besucher in Deutschland und anderen europäischen Ländern verschweigt, so ist doch unverkennbar, daß politisch motivierte Gewalt gegen Touristen gerade in Dritte-Welt-Ländern zunimmt. Der lange unter rein wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten betrachtete Tourismus ist in der Dritten Welt zum Spielball sich unversöhnlich gegenüberstehender politischer Kräfte geworden. Aber Tourismus ist nur selten unschuldiges ‘Opfer’ politischer Gewalt, er ist auch selbst zunehmend Ursache für Konflikte.

Lange Zeit waren den Tourismusmanagern und ihren Kunden die politischen Verhältnisse in den Urlaubsländern gleichgültig - Hauptsache Preise, Service und Attraktionen stimmten. Inzwischen ist die Tourismusindustrie aufgeschreckt. Sie bekommt Umsatzeinbußen aufgrund aufflackernder politischer Gewalt als erstes zu spüren. Die Erkenntnis setzt sich durch, daß zu den bekannten vier ›S‹ des Tourismus - Sonne, See, Sand und Sex - ein fünftes hinzukommt: Sicherheit. Der Deutsche Reisebüro-Verband hat eine Krisenzentrale eingerichtet, mit der möglichen »Störfällen« wie Anschlägen etc. begegnet werden soll, indem z.B. die Touristenströme umgelenkt werden. In vielen Ferienregionen wurden spezielle Polizeikräfte zum Schutz der Touristen aufgestellt, beispielsweise die ›Grünen Engel‹ in Mexiko.

Während in den Krisenregionen die Touristen fernbleiben, können Ziele wie beispielsweise der Stadtstaat Singapur, der den Touristen die Sicherheit eines Polizeistaates bietet, aufsteigen. Singapur profitierte von der Stornierung zahlreicher China-Reisen nach dem Massaker am Tiananmen-Platz im Jahr 1989, aber auch von den politischen Querelen in Hongkong, Colombo, Bombay oder Manila. Die vermeintliche politische Stabilität mancher Ferienregionen wird inzwischen von der Tourismusindustrie gezielt als Werbeargument verwendet. Als es beispielsweise 1992/93 in Nordindien zu Pogromen hinduistischer Nationalisten an der Minderheit der Moslems kam, blieb es im südindischen Bundesstaat Kerala vergleichsweise ruhig. Der deutsche Reiseveranstalter Comtour wusste dies in einem Prospekt zu würdigen: »Kerala ist in vielerlei Hinsicht Indiens ›Musterländle‹, eine freundliche Oase im von Gegensätzen zerrissenen Kontinent. Blutige Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen und Religionen, die vor allem den Norden und die Großstädte zu notorischen Unruheherden gemacht haben, sind in Kerala undenkbar«. Eine andere Strategie der Tourismusindustrie im Umgang mit politischer Gewalt ist, Reisen in akute Krisenregionen unter ›terrorgewohnten‹ Zielgruppen abzusetzen. So wurden z.B. Reisen in die Türkei nach den Anschlägen der kurdischen Arbeiterpartei PKK auf Hotels im Jahr 1993 kurzfristig vermehrt unter Israelis und Arabern abgesetzt. Sie ersetzten die ausbleibenden Deutschen zumindest teilweise.


Tourismus und politische Konflikte

Die bisherigen Beispiele deuten an, daß es verschiedene Typen der Verflechtung von Tourismus und politischen Konflikten gibt. Erstens kann der Fremdenverkehr großräumig durch Konflikte und Kriege beeinträchtigt werden. So war 1991 wegen des Golfkrieges ein schwarzes Jahr für die weltweite Tourismusindustrie. Ägypten musste gar 50% Minderung bei den Ankunftszahlen deutscher Touristen hinnehmen, obwohl es weder am Krieg beteiligt noch von Kriegshandlungen betroffen war.

Zweitens kann Tourismus indirekt von internen politischen Unruhen und Aufständen betroffen sein, wie etwa in Peru, Indien oder China. Nicht in allen Fällen kommt der Tourismus dabei völlig zum Erliegen. In Sri Lanka gingen die Ankunftszahlen Anfang der 80er Jahre nach der Offensive der aufständischen Tamilen zwar stark zurück, übertrafen aber in den 90ern trotz anhaltender Auseinandersetzungen die Vorkriegsergebnisse. Rund 20% der Deviseneinnahmen, die zum erheblichen Teil aus dem Tourismus stammen, werden von der Regierung für Waffenkäufe ausgegeben. Trotzdem haben die Tamil Tigers sich bis heute davor gehütet, touristische Anlagen anzugreifen, nicht zuletzt, weil sie von den Hoteliers Schutzgelder kassieren. Für die in Sri Lanka aktiven ausländischen Tourismuskonzerne wie z.B. Tjaereborg war der große Bombenanschlag im Januar 1996 in Colombo ein Anlass, die mangelnde Attraktivität des Landes anzuprangern und Preisnachläße von den einheimischen Hoteliers zu fordern. Diese sind inzwischen mehrheitlich verschuldet, weil sich ihre hohen Investitionen wegen schwankender Nachfrage nicht recht amortisieren.

Drittens können die Touristen direkt in die Auseinandersetzungen einbezogen werden. In der Türkei, in Ägypten, Kaschmir, Algerien, Kambodscha oder im Jemen haben militante Gruppen den Fremdenverkehr als politisches und militärisches Angriffsobjekt entdeckt, mit dem sich wirksamer Druck auf die jeweiligen Regierungen und Regime ausüben läßt. Mit der Entführung von ausländischen, möglichst westlichen Touristen ist auf einen Schlag eine große internationale Medienresonanz gewährleistet. Die internationale Diplomatie tritt auf den Plan und fordert zur Befriedung des Konflikts Zugeständnisse von betroffenen Regierungen, sofern diese aufgrund drohender massiver Devisenverluste bei den Touristeneinnahmen nicht sogar von sich aus dazu bereit sind. Bei Teilen der Bevölkerung stoßen die Angriffe auf Touristen auf heimliche bis offene Sympathie. Die Touristen werden von manchen als Kolonialisten wahrgenommen, die ihren Reichtum demonstrativ und arrogant zur Schau tragen, für die Sorgen der Einheimischen nur ein Achselzucken übrig haben und ansonsten von ihrer Ausbeutung profitieren. Anschläge auf Hotels werden in manchen Fällen allein schon deshalb gutgeheißen, weil sie im Besitz der verhassten einheimischen Eliten oder auswärtiger Konzerne sind.

Von vielen Staaten und Regierungen in der Dritten Welt wird der Tourismus meist noch in größerem Maß instrumentalisiert als von oppositionellen Gruppen. Die Indienstnahme des Tourismus als Mittel, die Weltöffentlichkeit von der eigenen Friedfertigkeit zu überzeugen und zugleich die Opposition im Interesse dieses Wirtschaftszweiges ruhig zu halten, ist eine weitverbreitete Strategie. Das klassische Beispiel dafür ist die Tourismuspolitik des ehemaligen Diktators Marcos auf den Philippinen. Während des Ausnahmezustandes von 1972-81 plünderte er mehrfach die staatliche Sozialversicherungskasse, um Fünf-Sterne-Hotels in Manila und anderswo zu errichten. Unterstützt von den phillipinischen Eliten, für die der Tourismussektor ein prestigeträchtiger Wirtschaftszweig war, wollte Marcos durch den Ausbau des Tourismus sein ramponiertes Image im Ausland wie im Inland aufpolieren. Das gelang ihm anfangs, bis unterdrückte Oppositionsgruppen wie die Moro National Liberation Front begannen, japanische Touristen zu entführen und Luxushotels aus Marcos’ Besitz niederzubrennen. Da es kaum legale politische Betätigungsmöglichkeiten gab, wurden Angriffe auf touristische Einrichtungen zu einem wesentlichen Bestandteil der Anti-Marcos-Kampagne von 1979 bis 1986. Einer der Höhepunkte wurde erreicht, als während einer Tagung der US-amerikanischen Society of Travel Agents in Manila eine Bombe detonierte - einige Minuten, nachdem Marcos die westliche Presse der Hysterie bezüglich der Unruhen auf den Philippinen bezichtigt hatte!

Ein aktuelles Beispiel für die Verstrickung von autoritären Regimen und Tourismus ist Indonesien. Mit seiner nicht nur auf Bali als ›exotisch‹ vermarktbaren Kultur hat Indonesien in den letzten Jahren einen enormen Aufstieg als Reiseziel westlicher Touristen erlebt. Präsident Suharto kündigte 1995 an, der Tourismus solle bis zur Jahrtausendwende zum größten Devisenbringer werden. Der für die blutige Unterdrückung der Bevölkerung Osttimors und anderer Minderheiten verantwortliche Präsident hat am Wachstum des Tourismus ein persönliches Interesse. G.J. Aditjondro, ein im Exil lebender indonesischer Dissident, wies nach, daß allein auf Bali 3.849 Hotelbetten der Luxusklasse im Besitz von Suharto, seinen Familienangehörigen oder enger Vertrauter sind. Viele dieser Hotels werden über internationale Ketten angeboten, wie z.B. das Sheraton Lagoon Nusa Dua Beach Hotel, das Bali Intercontinental und das Ramada Bintang Bali Hotel. Zum wachsenden Imperium des Suharto-Clans gehören zahlreiche weitere Unternehmen wie Golfplätze, Fährgesellschaften, Reisebüros, die Fluggesellschaft Sempati Airlines und die Trinkwasserversorgung desTouristenortes Kuta.

Bali ist eine Kolonie der Hauptstadt Jakarta auf der Insel Java geworden, stellen balinesische Kritiker und Bürgerinitiativen angesichts dieser Entwicklung fest. Die Inselbewohner müssen den aufwendigen Hotelbauten weichen, bekommen aber keinesfalls immer Jobs. Mehrmals rief der Dissident Aditjondro zum Boykott der großen Ferienanlagen auf Bali auf. Auch die staatliche GARUDA Airline solle anlässlich der blutigen Attacke des Suharto-Regimes auf das Hauptquartier der oppositionellen Indonesian Democratic Party im Juli 1996 gemieden werden, forderte er.


Boykotte als Mittel der Solidarität?

Bislang haben Appelle an die westlichen Touristen, Reisen nach Bali und in andere indonesische Ziele aus Solidarität mit der unterdrückten Opposition zu unterlassen, wenig gefruchtet. Solange die Touristen in vermeintlichen ›Paradiesen‹ ungehindert ihren Interessen nachgehen können, kümmert es sie wenig, ob in ihrem Namen Einwohner vertrieben werden und mit ihrem Geld ein menschenrechtsverletzender, korrupter Staatsapparat finanziert wird. Auch andere bisherige Erfahrungen mit Tourismusboykotten sind ernüchternd. Trotz wiederholter Aufrufe seitens der Dritte-Welt-Solidaritätsgruppen haben Länder, in denen Minderheiten und Menschenrechte mißachtet werden, große Zuwachsraten im Tourismus erzielt. Beispiele dafür sind die Türkei (Unterdrückung der Kurden) und Marokko (Annektierung der Westsahara).

Aber zumindest in Einzelfällen und unter bestimmten Umständen zeigen Boykottaufrufe Wirkung. Der Tourismusboykott gegen Südafrika zu Zeiten der Apartheid hielt viele potentielle Touristen vom Besuch des Landes ab. Erst jetzt nach der Beendigung der Apartheid zeigt die enorme Zunahme der Reisen nach Südafrika, welch großes touristisches Interesse an der Kaprepublik vorhanden ist. Der Erfolg des Tourismusboykottes bis 1993 beruht wesentlich darauf, daß er in weitergehende allgemeine Wirtschaftssanktionen eingebunden war und von vielen unterschiedlichen Organisationen und Staaten aus aller Welt getragen wurde.

Ein anderes, in den letzten zwei Jahren viel diskutiertes Beispiel für einen Tourismusboykott aus Protest gegen Menschenrechtsverletzungen ist das südasiatische Land Burma (Myanmar). Dort herrscht seit einem Militärputsch im Jahr 1988 der ›Staatsrat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung‹ (SLORC). Die demokratische Opposition des Landes, angeführt von der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD), wird brutal niedergehalten. Die von der NLD gewonnenen Wahlen im Jahr 1990 werden vom SLORC-Regime nicht anerkannt. Zur Unterdrückung und Bespitzelung der Bevölkerung ist ein gewaltiger Sicherheitsapparat nötig. Ohne von Nachbarstaaten bedroht zu sein, hält das Regime sich eine 400.000 Mann starke Armee.

In früherer Zeit war Burma durch strenge Einreisegesetze gegen Touristen nahezu vollkommen abgeschottet. Doch dann nahmen sich die herrschenden Generäle ein Beispiel an anderen Ländern Asiens und riefen 1994 zu einem »Visit Myanmar Year 1996« auf. Eine halbe Million Touristen sollten in diesem Tourismusjahr nach dem Willen des SLORC nach Burma reisen und Devisen mitbringen, die für Waffenkäufe dringend benötigt werden. In zahlreichen Publikationen wurde mit den einzigartigen kulturellen Schätzen Burmas geworben: historische buddhistische Stätten, Sakralbauten, Pagodenstädte und die Königsstadt Mandalay. Die Reisebranche ließ sich nicht zweimal bitten und zeigte großes Interesse. Investitionsvorhaben von ausländischen Konzernen aus Japan, Singapore, aber auch aus Frankreich und der Schweiz, wurden in die Wege geleitet. Zahlreiche, vor allem kleinere Veranstalter nahmen Burma in ihr Programm auf, die Zahl der publizierten Reiseführer wuchs.

Doch schon im Vorfeld des Tourismusjahres 1996 wurden sowohl die Generäle wie die Reisebranche vom erheblichen Widerstand gegen ihre Pläne überrascht. Internationale Medien und Solidaritätsgruppen enthüllten, unter welchen Bedingungen der Tourismus in Burma aufgebaut wird. In Mandalay beispielsweise wurden Tausende Bewohner gezwungen, die Kulturstätten auf Hochglanz für die Touristen zu bringen. Gefangene wurden teilweise an den Beinen angekettet und mussten Schlamm aus Wassergräben ausbaggern. Auch beim Bau des Flughafens von Pegu oder der Eisenbahnstrecke nach Mandalay schufteten zigtausende Zwangsarbeiter. Viele starben dabei an Erschöpfung, Unterernährung und Krankheiten. In der Nähe der Hauptstadt Rangoon wurde ein Musterdorf gebaut, in dem ‘exotische’ ethnische Minderheiten als touristische Attraktion leben sollen. Die Opposition nannte dieses Dorf einen »Menschenzoo«. Ganze Dorfgemeinschaften mussten an anderen Orten Luxushotels weichen, die von Ausländern finanziert wurden.

Angesichts dieser Zustände wurden nach einigen Anlaufschwierigkeiten von verschiedenen Seiten Boykottaufrufe gegen das Tourismusjahr laut. Nicht nur kleinere Solidaritätsgruppen in England, Deutschland und der Schweiz, sondern auch internationale Organisationen und Gewerkschaftszusammenschlüsse wie die IUL und die Internationale Transportarbeiter Föderation riefen zum Reiseverzicht nach Burma auf. Selbst die Clinton-Regierung in den USA dachte laut über einen Burma-Boykott nach, auch wenn sie sich letztlich aus wirtschaftlichen Interessen nicht dazu durchringen konnte. Die Tourismusbranche reagierte gemischt auf die Proteste. Reiseveranstalter in der Schweiz, in England und Australien nahmen Burma gar nicht erst ins Programm oder erklärten den zukünftigen Verzicht darauf. Andere wie die deutsche Condor begannen im November 1996 mit Charterflügen nach Rangoon. Zugleich forderten verschiedene deutsche und internationale Organisationen (darunter der BDKJ) rund 30 deutsche Reiseveranstalter per Brief auf, Reisen nach Burma zumindest zum damaligen Zeitpunkt aus dem Angebot zu nehmen. Die Reaktion der Veranstalter von airtours international bis Feria Internationale Reisen war harsch: »Wir lassen uns nicht nötigen oder erpressen«. Es gelte zu prüfen, ob der Brief nicht strafrechtliche Tatbestände erfülle. Auch die Bundesregierung reagierte unwillig auf eine parlamentarische Anfrage, in der Wirtschaftssanktionen gegen Burma im Bereich des Tourismus gefordert wurden. Sie sehe keine Notwendigkeit, auf deutsche Unternehmen einzuwirken, die Reisen nach Burma anbieten.

So unverblümt wie die deutschen Reiseveranstalter und ihre Sachwalter in der Bundesregierung wollen nur wenige ihre geschäftlichen Interessen durchsetzen. Auf eine geschicktere Variante des business as usual verfiel zum Beispiel die weltweit vertriebene Reiseführerreihe Lonely Planet. Ihr aktueller Burma-Ratgeber kommt ›politisch korrekt‹ daher - das Buch wurde vorsichtshalber Aung San Suu Kyi gewidmet. Jeder müsse selbst entscheiden, ob er nach Burma reise, meinen die Autoren, um dann auf 700 Seiten die Entdeckerlust der Reisenden zu wecken. Zu den touristischen Attraktionen zählt in diesem Reiseführer auch das Haus der Oppositionsführerin Suu Kyi. Andere wie der Schweizer Korrespondent Peter Achten, der für einen Reiseveranstalter eine Reise nach Burma leitet, verwerfen den Boykottgedanken mit dem Argument, Boykotte zeigten nur selten Wirkung: »Vor allem aber trifft es immer die Falschen, das heißt nicht die Regierung, sondern das einfache Volk.« Mit dieser Aussage mißachtet er, daß sich gerade die burmesische Opposition für Investitions- und Reiseboykotte aussprach. Suu Kyi sagte in einem Interview ausdrücklich an die Adresse der Schweizer Bevölkerung: »Ich bin der Meinung, daß niemand das Tourismusjahr unterstützen sollte. Damit würden Ausländer nur die Politik unterstützen, die dem Land Ärger bringt«.

Trotz der mangelnden Bereitschaft vieler Reiseveranstalter, Burma aus dem Programm zu nehmen, waren das internationale Aufsehen um die Verhältnisse in Burma und die Boykottaufrufe nicht vergeblich. Die »Negativpropaganda« im Ausland hätte dem Tourismus nach Burma sehr geschadet, meinte der burmesische Tourismusminister General Kyaw Ba zum verspäteten Auftakt des ›Visit Myanmar Year‹ im November 1996. Die Touristenzahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Burma ist somit eines der wenigen Beispiele dafür, wie touristische Wachstumsstrategien für autoritäre Regime zum Schuß nach hinten werden können. Die Solidaritätsbewegung wäre deswegen schlecht beraten, wenn sie trotz insgesamt eher schlechter Erfolgsaussichten gänzlich auf das Mittel des Boykottaufrufes verzichten würde.


Autoritär und aggressiv

Wie kommt es, daß autoritäre Regime in der Dritten Welt so stark auf Tourismusförderung setzen? Indonesien und Burma, aber auch China, Marokko, die Dominikanische Republik und Kenya sind ein paar besonders eklatante Beispiele, nicht aber die Ausnahme. Der enge Zusammenhang zu autoritären politischen Systemen ist in der heute dominanten Form des Dritte-Welt-Tourismus strukturell angelegt. Strategische Entscheidungen der jeweiligen Herrschenden zugunsten der Tourismusförderung bedeuten die Vernachlässigung von Belangen der breiten Bevölkerung. Tourismusentwicklung im großen Stil ist kaum möglich ohne Zwangsvertreibungen indigener Bevölkerungen aus ihren Siedlungsgebieten und besitzergreifender kommerzieller Verwertung von Natur und Kultur. Beides lässt sich auf autoritärem Wege zumeist leichter durchsetzen als auf demokratischem.

Es ist auffällig, daß demokratischere Staaten wie z.B. Indien erheblich vorsichtiger bei der Tourismusförderung sind - zumindest solange sie sich der vollständigen Eingliederung in die kapitalistische Weltwirtschaft widersetzen. Bis Anfang der 90er Jahre hatte die indische Regierung den Tourismus mäßig und kontrolliert gefördert, wohlwissend um seine Schattenseiten. Die Entwicklung eigener Industrien und die Unabhängigkeit von ausländischen Konzernen hatte Priorität. Aber im Zeitalter der Globalisierungsideologie setzt auch Indien mit seiner wirtschaftlichen Liberalisierungspolitik seit 1991 vermehrt auf die touristischen Devisen. Unter dem Druck der sog. Strukturanpassungspolitik des Internationalen Währungsfond (IWF) und der enormen Auslandsverschuldung geht eine aggressive Tourismusförderpolitik zunehmend über die Bedenken gegen den Ausverkauf des Landes hinweg. Dadurch ist der Tourismus zu einem Gegenstand politischer Auseinandersetzung geworden. In der indischen Öffentlichkeit wird bis heute viel über das Für und Wider der Tourismusentwicklung diskutiert. In Bundesstaaten wie Kerala, Goa und Orissa kämpfen Aktionsgruppen gegen den Ausbau des Tourismus. Sie wollen nicht einsehen, warum Milliarden von Rupees in gigantische Hotelprojekte gesteckt werden sollen, während andererseits ein massiver Abbau der Sozialleistungen des Staates stattfindet. Bei Demonstrationen in Kerala gegen künstliche Touristenspektakel wie den Elephant March, den viele als Verhöhnung und Verramschung ihrer kulturellen Tradition ansehen, kam es zu Polizeiübergriffen und Festnahmen.


Subtil, aber effektiv

Die politische Instrumentalisierung des Tourismus ist keinesfalls auf heutige Zeiten oder die Dritte Welt begrenzt. In den 60er und 70er Jahren spielten der spanische Faschist Franco oder das griechische Obristenregime meisterhaft auf der Klaviatur der Tourismusförderung. Heute versuchen westliche Staaten über die Beeinflußung der Touristenströme Politik zu machen. Die USA verbieten ihren Staatsbürgern aus politischen Gründen Reisen nach Kuba, Nordkorea oder Libyen; zum einen, um diesen Ländern keine Deviseneinnahmen zu ermöglichen, zum anderen aus Angst vor ›ideologischer Beeinflußung‹ der US-Bürger. Ein ebenso subtiles wie effektives Einflußmittel auf Dritte-Welt-Länder sind die Warnungen der westlichen Außenministerien vor Reisen in bestimmte Länder. Am radikalsten ist die japanische Regierung. In ihrem Handbook for Safety Overseas ist eine 122 Punkte umfassende Checkliste abgedruckt, die es für optimale Sicherheit tunlichst zu beachten gilt. Da Japaner den Anordnungen ihrer Regierung im allgemeinen folgen, werden Länder, die auf einer ständig aktualisierten Warnliste stehen, praktisch nicht mehr bereist. Die philippinischen Hotelanlagen, die stark von der japanischen Kundschaft abhängig sind, wurden schon mehrfach über Nacht zu Geisterstädten.

Das US-amerikanische State Department listet seit vielen Jahren regelmäßig 30 bis 40 Länder, fast alle in der Dritten Welt, als ‘Don’t Go Areas’ auf. Auffällig dabei ist die geringe Objektivität bei ihrer Auswahl. Politisch nahestehende Staaten wie Südafrika, Israel, Mexiko, Ägypten oder Brasilien wurden fast nie erwähnt, während für andere - vor allem sozialistische - Länder trotz vergleichbarer oder geringerer Gefahren wahre Schreckensszenarien entworfen wurden. Das Verhalten vieler Staaten gegenüber den USA wurde wirksam sanktioniert. Die Phillippinen beispielsweise waren zu Marcos’ Zeiten kaum in den Warnlisten präsent. Erst nach der Nichtverlängerung des Vertrages über die US-Militärstützpunkte und der Auflösung der Clark Air Force Base und der Subic Bay Naval Base ist dies häufiger der Fall, obwohl die politische Lage heute erheblich stabiler ist und Angriffe auf Touristen selten geworden sind.

Nicht objektive Gefahr, sondern ihre subjektive, ideologisch beeinflußte Wahrnehmung bestimmt das Reiseverhalten der Touristen. Die Medien und die Öffentlichkeit greifen die Panikmache vor politischer Gewalt bereitwillig auf, solange diese von ›Terroristen‹ und anderen Staatsfeinden kommt. Staatsterrorismus von Militär und Polizei werden schon erheblich weniger beachtet. In dieser Situation ist es die Aufgabe der Dritte-Welt-Solidarität, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die tieferen Ursachen politischer Gewalt zu lenken. Insbesondere die Rolle, die Tourismus bei der Unterstützung menschenrechtsverletztender Regime spielt, muß stärker als bislang thematisiert werden. Tourismus ist politisch nicht neutral. In seiner gegenwärtigen Form kommt er den Stärkeren, nicht den Schwächeren einer Gesellschaft zugute.


Aus: Trouble in Paradise. Tourimsus in die Dritte Welt. iz3w 1997 / Frankfurter Rundschau 28.9.1996 / fwv 12.4.1996 / L.K. Richter, Political Instability and Tourism in the Third World, in: D. Harrison, Tourism and the Less Developed Countries, London 1992: 43f. / Contours Vol. 7, No.3, Oct. 1995 und Vol. 7, No. 7, Sep. 1996, Tourism Watch 3/96
Die Militärregierung hat Burma 1988 in Myanmar umbenannt. Von der Opposition wird dieser Name nicht anerkannt.
Frankfurter Rundschau 28.12.1996
Bundestags-Drucksache 13/6614
Kurznachrichten des Arbeitkreis Tourismus & Entwicklung 1/97 ebd.




Konstruierte Paradiese und kollektive Träume

Widerstand gegen die indische Tourismuspolitik

Interview mit dem indischen Tourismuskritiker K.T. Suresh

K.T. Suresh arbeitet bei der tourismuskritischen Organisation Equations (Equitable Tourism Options) in der südindischen Metropole Bangalore. Seinen Besuch auf der Internationalen Tourismusbörse ITB ‘97 in Berlin, der weltweit größten Messe für den Fremdenverkehr, nahmen wir zum Anlaß für ein Interview.

iz3w: Suresh, was empfindest du, wenn du zu dieser riesigen Tourismusmesse kommst und die künstliche Welt siehst, die hier in den Ausstellungsständen der Reiseveranstalter und Tourismusbehörden geschaffen wird?

K.T. Suresh: Es ist sehr aufschlußreich für mich, die andere Seite des touristischen Vermarktungsprozesses kennenzulernen. In einer Welt, in der 160 Länder um die Touristenströme buhlen, will natürlich auch Indien zeigen, daß es genauso attraktiv wie andere Ziele ist. Problematisch an diesem Ausverkauf ist, daß praktisch alles, was hier gezeigt wird, nichts mit der Realität in Indien zu tun hat. Zum Beispiel macht ja einer der hier vertretenen indischen Bundesstaaten, Kerala, in einer Broschüre Werbung mit den Slogans »Creating Paradise« oder »God’s own Country«. So werden absichtlich illusionäre Paradiesvorstellungen und Träume in den Köpfen der potentiellen Kunden geschaffen. Die Verwendung dieser Worte spiegelt die Denkweise derjenigen Leute wider, die in Institutionen wie den Tourismusministerien sitzen und die Tourismusentwicklung planen.

iz3w: Aber diese Tourismusplaner wissen doch ganz genau, daß Kerala riesige Probleme mit Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung hat und alles andere als ein Paradies ist.

Suresh: Sicher, aber man muß bedenken, daß dies das Vorgehen von Bürokraten ist, die ihren Staat so gut wie möglich verkaufen wollen. Für mich war wenig überraschend, was der indische Tourismusminister auf seiner heutigen Pressekonferenz über das geplante touristische Großprojekt in Bekal erzählt hat. Dieser Ort liegt im südindischen Bundesstaat Kerala. Er hat den Eindruck vermittelt, daß die Einheimischen dort nur auf den Tourismus warten, daß auf Investitionen gehofft wird und sich kein Widerstand regt gegen die Pläne der Regierung, was so überhaupt nicht stimmt.

iz3w: Was genau ist in Bekal geplant und was wird dies für die dortige Bevölkerung bedeuten?

Suresh: Das Bekal-Projekt ist ein Traum, den die Bürokraten besonders intensiv träumen. Er entstand auf der Grundlage des Nationalen Tourismusplans aus dem Jahr 1992. Damals meinte die Regierung aufgrund der vielen Probleme, die in Regionen wie Goa durch den Tourismus entstanden, seine Entwicklung besser kontrollieren zu müssen. Die Absicht war, die Tourismusentwicklung zu beschleunigen und gleichzeitig in industrieller Form stattfinden zu lassen. Bei Bekal soll nun ein riesige touristische Anlage auf einer Fläche von mehreren Quadratkilometern gebaut werden, obwohl dort es vier große Fischerdörfer mit einer Bevölkerung von etwa 45.000 Menschen gibt. Die Festlegung dieses Gebietes als zukünftige Touristenregion war ein rein bürokratischer Vorgang. Damit wurde zugleich bestimmt, daß Tourismus in dieser Region fortan die einzige wirtschaftliche Aktivität sein soll.

iz3w: Waren die Einheimischen an dieser Entscheidung beteiligt?

Suresh: Nein, die Entscheidung fiel allein im Ministerium in der Hauptstadt Delhi, die ja über 2.500 km entfernt von Bekal liegt. Bis heute ist die einzige Möglichkeit der einheimischen Bevölkerung, zu diesem Projekt Stellung zu nehmen, der Protest vor der örtlichen Gemeindeverwaltung. Mit diesen Demonstrationen will sie ausdrücken, daß sie nicht danach gefragt wurde, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt. Schließlich muß der Großteil der Menschen ja zwangsumgesiedelt werden, wenn der Bau beginnt. Die bisherigen wirtschaftlichen Aktivitäten, Fischerei und Tabakanbau, werden in der heutigen Form nicht mehr möglich sein.

iz3w: Ist diese Form der autoritären Tourismusentwicklung von oben auch in anderen indischen Touristenregionen üblich?

Suresh: Nein, in dieser Radikalität ist dies neu. Das hat damit zu tun, daß die Regierung den Massentourismus zunehmend auf eng begrenzte Regionen konzentrieren möchte. In diesen soll eine mit der westlichen Welt vergleichbare Infrastruktur geschaffen werden - in Bekal unter anderem fünf Fünf-Sterne-Hotels, ein Helikopter-Landeplatz und eine vierspurige Autobahn zum Flughafen.

iz3w: Mit anderen Worten, die Regierung strebt eine Art Ghetto-Strategie an: Die Touristen sollen sich nicht über das ganze Land verteilen.

Suresh: Ja, das ist die Antwort der Bürokraten auf die starke Kritik am Massentourismus hier in Indien. Der andere Grund ist, daß die Regierung keine Touristen mehr will, die nur wenig Geld ausgeben, also die Rucksacktouristen. Sie setzt auf Touristen, die viel Geld haben und lange in Indien bleiben, und denen muß man natürlich westlichen Standard bieten. Das heißt, der Regierung geht es nur um maximalen Profit. Dabei schaut sie aber noch nicht mal auf die Bedürfnisse der Touristen, die ja Kerala vielleicht nicht nur innerhalb eines isolierten Ghettos kennenlernen wollen.

iz3w: Das stimmt mit meinen Eindrücken aus Kerala überein. Dort wird von den Tourismusbehörden der große und prunkvolle Elefanten-Marsch veranstaltet, eine künstliche kulturelle Veranstaltung ausschließlich für Touristen. Die mangelnde Nachfrage zeigt, daß die das gar nicht in dieser Form wollen.

Suresh: Das kommt dabei raus, wenn die Bürokratie versucht, in die Rolle des Unternehmers zu schlüpfen, und dabei nur nach ihrem starren Schema vorgeht. Die Bürokraten haben eigentlich überhaupt keine Ahnung von Tourismus. Zugleich wollen sie aber auch keine öffentliche Debatte über die Tourismusentwicklung eröffnen. Die einzige politische oder gesellschaftliche Kraft, die nach ihrer Ansicht die Möglichkeit haben sollte, Einfluß auf die Entscheidungen der Regierung zu nehmen, sind die großen Hotelketten. Und die haben natürlich ausschließlich ihre Interessen im Sinn.

iz3w: Ich denke, man sollte aber nicht nur die staatliche Politik kritisieren, sondern auch die privaten Unternehmer und vor allem den Individualtourismus. Der breitet sich völlig ungeregelt über das Land aus, wie z.B. in Goa, und läßt der Bevölkerung auch recht wenig Spielraum zur Einflußnahme. Wie ist dein Standpunkt dazu?

Suresh: Ich würde nicht sagen, daß dieser Tourismus ungeregelt ist. Wenn wir zum Beispiel den Fall Goa näher anschauen: Dort gibt es seit den 70er Jahren überall kleine, einfache Strandbars, deren Publikum aus Individualtouristen besteht. Diese so ungeplant aussehenden Bars haben alle eine offizielle Lizenz erhalten. Dahinter stand die Absicht der Regierung, auch den Kleinunternehmern ein Einkommen zu ermöglichen und sie bei der Bereitstellung des touristischen Produkts ‘Goa’ mitwirken zu lassen. Letztes Jahr wurde den Barbetreibern die Lizenz verweigert - mit allen möglichen Argumenten, die Bars seien unhygienisch, verschandelten den Strand usw. Den Barbetreibern blieb nichts anderes als der Gang zum Gericht, um unter Berufung auf die Verfassung ihr Recht auf Lebensunterhalt einzuklagen.

iz3w: Aber hat diese Entscheidung der Regierung nichts mit dem rücksichtlosen Verhalten vieler Kunden dieser Strandbars zu tun? Die haben Technopartys am Stand gefeiert, ohne sich darum zu kümmern, daß die Einheimischen schlaflose Nächte haben.

Suresh: Ja, sicher. Aber man muß wissen, daß der Staat und die Polizei diese Partys mit all ihren zweifelhaften Erscheinungen lange toleriert, ja sogar unterstützt haben. Insofern hat der Staat zur Entstehung der Probleme beigetragen, die er nun den Barbetreibern anlastet. Genau dies muß man dem Staat immer wieder vor Augen halten. Im Falle der Kampagne von Bürgergruppen gegen das Nacktbaden - das hier in Indien einfach total verpönt ist - waren die Behörden nur aufgrund der Proteste gezwungen, entsprechende Schilder aufzustellen. Die Polizei sorgt im Gegensatz zu früher für die Durchsetzung des nach indischem Gesetz bestehenden Nacktbade-Verbotes.

iz3w: Die lasche bzw. widersprüchliche Haltung der Politik gegenüber den Problemen durch den Tourismus hat doch mit dem Arbeitsplatzargument zu tun, das von der Tourismusindustrie immer wieder angebracht wird. In Goa z.B. gibt es große Arbeitslosigkeit, und viele Goaner müssen als Gastarbeiter in den Golfstaaten arbeiten.

Suresh: Mit dem Arbeitsplatzargument hat die Tourismusindustrie natürlich ein schönes Mittel gefunden, um sich in einer Gesellschaft mit hoher Arbeitslosigkeit zu legitimieren. Das ist übrigens auch Teil der Schaffung von künstlichen Paradiesen - in diesem Fall für die Einheimischen, denn für viele Goaner wäre es paradiesisch, wenn es Vollbeschäftigung gäbe. Die Schaffung von Paradiesen ist kein Prozeß, der nur auf die Touristen bezogen ist. Viele Träume werden über das Phänomen ›Tourismus‹ an Touristen, Einheimische, Geschäftsleute, Transnationale Konzerne usw. versucht zu verkaufen.

iz3w: Wie siehst du deine Rolle als Mitarbeiter einer unabhängigen tourismuskritischen Gruppe im Umgang mit diesen kollektiven Träumen?

Suresh: Man muß immer wieder daran erinnern, daß Träume sich von der Realität unterscheiden und zum Beispiel die Zahl der Arbeitsplätze klein ist. Wir möchten also diese Träume dekonstruieren, dabei aber berücksichtigen, welche ihrer Bestandteile für unsere Gesellschaft nützlich sein können. Wir sind ja nicht grundsätzlich gegen jeden Tourismus. Wir glauben nur, daß ein Tourismus, der zur Monokultur wird, extrem gefährlich ist. In Kaschmir z.B. wurde in den 70er Jahren der Tourismus zum einzigen aufstrebenden Wirtschaftszweig, und jetzt ist er aufgrund der internen Auseinandersetzungen dort zerstört. Das heißt, der Tourismus hat auf einer Vorstellung von der kaschmirischen Gesellschaft und auf Träumen aufgebaut, die völlig irreführend waren. Ähnliche Enttäuschungen sind in Zukunft sicherlich auch in anderen Regionen zu beobachten. In jedem der vier südindischen Bundesstaaten, in denen wir arbeiten, gibt es mindestens zwei Orte oder Regionen, wo derzeit große Proteste und Kampagnen in Zusammenhang mit Tourismus laufen. Das zeigt, daß die Diskussion über die vom Tourismus versprochenen Träume keine esotorische ist, sondern eine ganz konkrete um mögliche Formen des zukünftigen Lebensunterhaltes und der Existenz.

iz3w: Kannst du dafür ein konkretes Beispiel nennen?

Suresh: In Nagarhole, einem ländlichen Gebiet nahe der Metropole Bangalore, gibt es seit Monaten starke Proteste der indigenen Bevölkerung, der Adivasi, gegen ein sogenanntes »Ökotourismus«-Projekt der indischen Hotelgesellschaft Taj, die ja auch hier auf dieser Tourismusmesse in Berlin vertreten ist. Die Adivasi befürchten, daß ihnen durch das Projekt der Zugang zu dem Forst, von und mit dem seit jeher leben, verwehrt wird. Die Polizei hat dort täglich bis zu 250 der Protestierenden arrestiert. Die Regierung hat den Adivasi jedes Recht an der Nutzung der Wälder abgesprochen, mit der Begründung, es sei öffentlicher Besitz. Zugleich aber hat sie der Hotelgesellschaft Pachtverträge offeriert und sogar die Privatisierung des Landes angeboten. Der Kampf der Adivasi, den diese auch vor Gericht ausgetragen haben, war vorerst erfolgreich, weil bestätigt wurde, daß die Regierung nicht berechtigt war, dieses Land einfach der Taj-Gruppe zur Verfügung zu stellen. Deswegen mußte das schon errichtete Hotelgebäude abgerissen werden. Übrigens steht das erwähnte Ökotourismus-Projekt in Zusammenhang mit einem sog. Ecodevelopment-Programm des Umweltfonds der Weltbank. Die möchte insgesamt sieben Schutzgebiete in Indien entwickeln, und Tourismus ist in diesen Plänen offensichtlich als verträgliche Nutzung vorgesehen. Deswegen ist der Kampf der Adivasi um ihre Rechte noch nicht beendet.

Dieses Beispiel zeigt, daß es um Konflikte geht, in denen Bevölkerungsgruppen um ihre Lebensgrundlagen oder auch um ihr kulturelles Erbe kämpfen. Tourismus ist natürlich nur einer von vielen möglichen Faktoren, die zur Entstehung derartiger Konflikte beitragen. In diesem Fall hat die Tourismusindustrie die gleichen Ressourcen - den Wald - für sich beansprucht wie die dort lebenden Menschen. Die Frage ist, ob die Einheimischen oder der Tourismus, hinter dem ja globale Prozesse stecken, das Recht an diesen Ressourcen zugesprochen bekommt. Und in diesem Zusammenhang argumentieren wir als Equations aus einem indischen Kontext. Das heißt, für uns sind die Rechte der hier lebenden Menschen maßgeblich.

iz3w: Du hast die globale Struktur des Tourismus angesprochen. In Indien gibt es aber im Gegensatz zu vielen anderen Dritte-Welt-Ländern eine eigene starke Tourismusindustrie mit vielen großen Hotelgesellschaften. Müßt ihr euch nicht vor allem mit diesen auseinandersetzen?

Suresh: Ja, das ist richtig, aber es geht um Auseinandersetzungen mit Leuten, die sozusagen die Pförtner Indiens sind. Wenn diese Pförtner beschließen, Indien für die falschen Leute und Interessen zu öffnen, müssen diese Entscheidungen hinterfragt werden. Wir versuchen, der Regierung und der Tourismusindustrie ihre Verantwortung deutlich zu machen. Ihre Entscheidungen können ja sehr einschneidende Veränderungen der Lebensverhältnisse bei den Betroffenen bewirken. In Bekal wurden die Entscheidungen vor fünf Jahren von Regierungsverantwortlichen getroffen, die heute in ganz anderen Positionen sind. Ihre Nachfolger führen diese Entscheidungen weiter und verweisen darauf, daß sie sie nicht getroffen haben. Das Ganze erinnert an einen Zug, der kaum aufzuhalten ist, wenn er ins Rollen gekommen ist. Er wird erst am nächsten Bahnhof wieder halten, und das bedeutet in diesem Fall in Erreichung einer neuen Entwicklungsstufe, eines industriellen, ghettoisierten Massentourismus. Aber wenn das System nicht von selbst lernen will, Fehler zu vermeiden, muß es dazu gezwungen werden. Das sehe ich als unsere Rolle an.

iz3w: Wie unterstützt ihr konkret den Kampf von Bevölkerungsgruppen gegen geplante Tourismusprojekte?

Suresh: Da gibt es verschiedene Ebenen. Wir stellen den Gruppen Informationen zur Verfügung, z.B. über Tourismus im allgemeinen und über die Hotelgesellschaften und ihre Investitionspläne im besonderen. Diese Informationen flossen im Fall Nagarhole in eine Petition an das zuständige Gericht ein. Die Adivasi haben nur sehr schwer Zugang zu unserem Gerichtswesen, und wir haben sie dabei unterstützt, indem wir einen Rechtsanwalt besorgt haben. Der wiederum verstand wenig von der Realität der Adivasis, und so haben wir sozusagen zwischen verschiedenen Welten vermittelt. Als viele der Adivasi von der Polizei eingesperrt wurden, haben wir versucht, Unterstützung zu organisieren und die Presse zu informieren. Die negativen Schlagzeilen waren ja dann auch ein wesentlicher Grund dafür, warum die Taj-Hotelgruppe einen Rückzieher gemacht hat.

iz3w: Die Beispiele Nagarhole und Bekal zeigen, daß Equations vor allem auf der nationalen Ebene aktiv ist und im Gegensatz zu vielen anderen NGOs relativ wenig international kooperiert.

Suresh: Diese Projekte sind ja in Indien gelegen und die damit verbundenen Probleme müssen auch hier gelöst werden. Bei der Taj-Gruppe handelt es sich um rein indisches Kapital. Multinationale Konzerne wären unter Umständen viel vorsichtiger gegenüber Protesten, die sich gegen ihre Pläne richten. Aber die Taj-Gruppe operiert in ihrem Heimatland und meint, sich dementsprechend viel herausnehmen zu können. Sie steht ja auch mit den Mächtigen unseres Landes bis hin zum Präsidenten in enger Verbindung. Deswegen arbeiten wir in diesen Fällen nicht auf internationaler Ebene. Abgesehen davon suchen wir schon eine internationale Öffentlichkeit und freuen uns über Solidarität mit unseren Kampagnen.

iz3w: Es fällt auf, daß Equations vor allem versucht, als Lobby Einfluß auf Regierungsentscheidungen zu nehmen und dabei auch häufig die Gerichte bemüht. Warum?

Suresh: Das hat mit der vergleichsweise demokratischen Struktur unseres politischen Systems zu tun. In einem autoritären Staat wie Burma wäre dies gar nicht möglich. Natürlich gehören die Richter an unseren Gerichten wie vermutlich überall auf der Welt zur Elite. Ihre Träume und Vorstellungen sind denen der Bürokraten sehr ähnlich. Aber wir haben einen Weg gefunden, damit umzugehen. Vor zehn Jahren noch sind wir naiv vor die Gerichte gezogen und haben emotional gefragt: »Wie kann so etwas Ungerechtes passieren?« und sind damit gescheitert. Heute versuchen wir oft erfolgreich, die Politik und das Rechtswesen an ihren eigenen Widersprüchen zu packen. Wir sagen: »Damals habt ihr unter Berufung auf die Verfassung dies und jenes gesagt, warum haltet ihr euch in diesem Fall nicht daran und verstoßt gegen Grundrechte?«

iz3w: Nicht immer protestieren die Menschen in Indien gegen Tourismusprojekte, oft sind sie sogar interessiert daran, daß Touristen kommen. Wie verhaltet ihr euch in einer solchen Situation?

Suresh: Wir haben unsere Rolle so definiert, daß wir Informationen über mögliche Auswirkungen von Tourismusprojekten zur Verfügung stellen. Es ist die Rolle der Einheimischen, zu entscheiden, ob sie dafür oder dagegen sind. Wir sind ja auch nicht einer fundamentalistischen Anti-Tourismus-Haltung verhaftet. Die Frage, ob Tourismus Nutzen oder Schaden bringt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich zu beantworten. Es geht uns darum zu gewährleisten, daß bei der vorherrschenden Art der Tourismusentwicklung auch alle Betroffenen ein Mitspracherecht haben. Im übrigen konzentrieren wir unsere Arbeit ohnehin auf die Fälle, in denen Gruppen um unsere Unterstützung bitten. Wir wiegeln niemanden auf.

iz3w: Zurück zum Thema Träume: Welchen Traum vom Tourismus hast du?

Suresh: Es ist für mich sehr schwierig, auf der Grundlage des heutigen Tourismus utopische Träume zu haben. Es geht beim Tourismus um nichts anderes als um den Transfer von Geld. Indien empfängt Touristen nicht aus brüderlicher Liebe, sondern wegen ihres Geldes. Es wäre schon viel wert, wenn diese Einnahmen auch in den bereisten Ländern bleiben und nicht zum Großteil wieder in den Norden abfließen.

iz3w: Wäre nicht anzustreben, daß Tourismus keine Einbahnstraße bleibt und zum Beispiel viele Inder auch nach Europa reisen können?

Suresh: Das ist eine schwierige Debatte. Warum sollte man künstlich das Bedürfnis zu reisen schaffen, in diesem Fall nach Europa? Das würde auch nicht mehr Gerechtigkeit in die Welt bringen. Davon abgesehen, was würdet ihr sagen, wenn sich 900 Millionen Inder und eine Milliarde Chinesen sich entschließen, nach Europa zu reisen (lacht)? In London und andernorts gibt es ja schon genug Stimmen, die sich gegen die vielen japanischen Touristen aussprechen. Nein, ich möchte die Diskussion darüber, wie Tourismus idealerweise auszusehen hat, gar nicht eröffnen, weil sich so etwas derzeit überhaupt nicht abzeichnet.

iz3w: Was sagst du dann zu den vielen Versuchen, alternative, verträgliche Tourismusprojekte in die Realität umzusetzen? Hier auf der ITB'97 sind ja zum Beispiel im Rahmen des TODO-Wettbewerbes für sozialverträglichen Tourismus zwei Vorzeige-Projekte in Belize und Palästina ausgezeichnet worden.

Suresh: Ich wünsche diesen Projekten viel Glück, aber Equations ist an dieser Strategie im Moment nicht interessiert. Wir beschäftigen uns mit sehr konkreten Überlebensfragen von Gruppen, deren Lebensräume akut bedroht sind. Wir sind nicht in der luxuriösen Situation, über zukünftige Tourismusmodelle nachdenken zu können. Wir sind eher in der Lage von Notärzten, die zu retten versuchen, was zu retten ist. Das heißt - um im Bild zu bleiben -, wir machen keine Gesichtschirurgie, sondern versuchen, das Überleben des Patienten sicherzustellen. Deswegen denken wir vor allem in kurzen Zeiträumen. Das bedeutet aber nicht, daß wir an grundsätzlichen und langfristigen Fragen nicht interessiert wären. Die Studie über die Bedeutung des internationalen GATS-Vertrages1 für den Tourismus, die wir mit unseren Partnern hier auf der ITB vorgestellt haben, zeigt, daß wir schon nach den strukturellen Gründen für die heutigen Probleme des Tourismus schauen. Wir wollen dabei aber nicht über kleine, isolierte Projekte für ›Nachhaltigen Tourismus‹ diskutieren, sondern eher den geopolitischen Zusammenhang sehen. Dabei ist es wichtig, die konkrete Situation in einem Land wie Indien vor Ort zu kennen, um beurteilen zu können, wie sich globale Prozeße und Verträge wie das GATS dort auswirken werden. Nur so können wir sinnvoll in diesen globalen Prozeßen intervenieren.

Das Interview wurde geführt und übersetzt von Christian Stock
Anmerkung:
1. Das 1993 im Rahmen der neuen Welthandelsordnung verabschiedete Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) unterwirft auch den Tourismus der Freihandelsdoktrin. Kritiker befürchten, dass dadurch die Unabhängigkeit der Staaten bezüglich ihrer Tourismuspolitik in Gefahr ist.




Zimmermädchen – Kim

Es ist ein wunderschöner Sommertag und aus der Ferne sieht das Hotel aus wie ein mittelalterliches Schloss auf einem künstlichen See mit Enten, die aus einem schönen Land her geflogen sind. Limousinen dürfen zum Haupteingang vorfahren, aber wir halten uns an die Rückseite und parken direkt neben dem Müll, der wegen der Hitze schon stinkt. Wir gehen einen engen Gang mit kaputten Glühbirnen entlang und öffnen eine Tür: dahinter werden wir von grellem Licht und feuchter Hitze erschlagen. Es ist die Wäscherei. Wir fahren mit dem Lastenaufzug einen Stock höher. Dort finden wir tolle Bedingungen: gedämpftes Licht, dunkles Furnier, schwere Teppiche und poliertes Messing. Mit unseren blauen Arbeitskitteln sind wir in dieser Welt unsichtbar- wir sind die Helfer.

Es gibt verschiedene Arbeitskolonnen in der Abteilung, und alle haben eine Vorliebe für verschiedene Sabotagearten. Es gibt eine Kolonne, die um sechs Uhr morgens zur Bar runtergeht. Sie ist in einem abgeschlossenen Saal. Morgens ist hier nicht viel los, und man braucht nur eine Plastikkreditkarte, um in die Bar rein zu kommen. Die Arbeiterlnnen drängeln sich dann wie neugeborene Tiere nach einem Platz unter den Zapfhähnen. Sie verbringen den folgenden Arbeitstag sturzbesoffen und einigermaßen zufrieden.

Ein anderer Klub beschäftigt sich nur mit härteren Scherzen. Die meisten Anhänger sind houseboys, junge Männer und Frauen, deren Arbeit es ist, schmutzige Wäsche und Gläser von den Wagen der Zimmermädchen einzusammeln. Die bevorzugte Sportart besteht darin, zerbrechliche Sachen von möglichst hochgelegenen Stellen zu schmeißen. Manche wickeln z.B. Gläser locker in ein Laken ein und werfen es die Wäscherutsche zur Wäscherei runter. Da gibt es dann ein schönes Durcheinander unten und die Beschimpfungen der Wäschereiarbeiterlnnen sind über die ganze Rutsche zu hören. Die Wäschereiarbeiterlnnen hassen die houseboys, würden sie aber nie ans Management verpfeifen. Auf verrückte Weise kümmern sich hier alle umeinander.

Wenn diese Spielchen langweilig werden, gehen die houseboys aufs Dach und schmeißen irgendwelche Sachen auf die Einfahrt an der Rückseite. Der Höhepunkt ist, wenn jemand einen 25-Litercontainer Milch aus der Küche stiehlt. Das ist schön, wirklich schön. Aber diese ganze Werferei machtziemlich müde. Wenn houseboys müde werden, legen sie sich in einen großen Wäscheschrank, den es in jedem Stockwerk gibt. Handtücher und Bettlaken werden strategisch vorne auf den Regalen platziert, und hinten entsteht so eine kleine, gemütliche Ecke, um ein Nickerchen zu machen.

Zimmermädchen benutzen viele Arten der Sabotage. Meist drücken sie sich einfach vor der Arbeit. Ihre Arbeit ist der beschissenste Job im Hotel und fordert eine unangenehme Nähe zu den Gästen. Die Leute an der Rezeption müssen mit den Gästen zwar reden, aber sie müssen nicht alles wegputzen, angefangen von benutzten Kondomen und Windeln bis zu tausend Haaren im Abfluss. Der Schlüssel fürs Überleben heißt Ecken aussparen.

Einige Zimmermädchen wählen die faule Variante. Anstatt den schweren Staubsauger rauszuholen, ziehen sie einfach einen Besen über den Teppich, damit er so aussieht, als sei er gesaugt worden. Wir müssen 15 Räume in acht Stunden saubermachen. Wenn wir es in fünf Stunden schaffen, haben wir drei Stunden Freizeit. Zimmermädchen sind im Verschwinden sehr geschult. Der Trick besteht darin, dein Wägelchen irgendwo zu parken, wo du gar nicht bist und dich in einen der unbenutzten sauberen Räume zu verdrücken. Dort liegen wir dann auf dem Bett in einem Zimmer mit Klimaanlage und schauen uns stundenlang MTV oder irgendwelche Seifenopern im Fernsehen an.

Andere Zimmermädchen ziehen die anspruchsvolle, gewissenhafte Variante in jedem Zimmer vor. Sie machen ein bisschen sauber, setzen sich dann auf die Bettkante und lesen die Zeitschriften des Gastes. Das ist eine Spur gefährlicher, weil der Gast ja jeden Moment zurückkommen kann. Wir müssen immer darauf vorbereitet sein, aufzuspringen und beschäftigt auszusehen. Ein Zimmermädchen wurde mal erwischt, während sie lesend auf dem Bett in einem wenig beleuchteten Raum saß: ein Mann, der die ganze Zeit, ohne dass sie es merkte in dem Bett geschlafen hatte, setzte sich plötzlich auf...
Alle in unserer Abteilung halten zusammen, wenn es ums Klauen geht. Beim Rausgehen werden zwar alle Taschen kontrolliert, aber das ist keine Abschreckung. Die Taschen werden mit kleinen Sachen wie Seifen und Shampoos voll gestopft und die Arbeiterlnnen spazieren einfach zum Haupteingang raus. Für größere Klauaktionen geht es wieder zurück aufs Dach.
Arbeiterlnnen, die ein Auto mit Ladefläche haben, fahren auf die Rückseite des Hotels.
Andere schmeißen dann Kisten mit Wäsche, Duschvorhängen, Handtüchern, praktisch alles, in die wartenden Autos. Ein besonderes Objekt waren die Tausender-Packungen mit Schokopfefferminz, die immer zur Begrüßung auf den Kopfkissen in den Zimmern liegen. Deshalb kann von uns niemand ein Schokopfefferminz sehen, ohne zu lachen.

Aus: Sprouse, M. (1993): Sabotage. ArbeiterInnen aus den USA erzählen. Thekla. 16 Berlin.
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Wachmann - Robin

Ich fand den Job in einer Zeitungsanzeige und wurde sofort eingestellt. Erst später fand ich raus, dass Wachmann ein Job ist, der hier sehr wenig Ansehen hat. Es ist einfach, Wachmann zu werden, aber die meisten bleiben es nicht lange.

Meine erste Aufgabe war, Nachtschicht in einem 500-Betten-Hotel zu schieben. Ich war der einzige Wachmann dort. Ich war für die Sicherheit des ganzen Gebäudes zuständig, ich sollte Leute vom Klauen abhalten und Notrufe entgegennehmen.

Die ersten Monate war ich sehr professionell und freundlich. Aber nach einiger Zeit suchte ich im ganzen Hotel nach Plätzen zum Schlafen. Ich fand zwei Räume, in denen ich mir Matratzen und Kopfkissen hinlegte. Ich legte dann mein Funkgerät immer zwischen meinen Kopf und das Kissen, so dass es mich wecken würde, wenn mein Chef mich rief. Ich bin sicher, meine Stimme klang immer so, als ob ich gerade aufgewacht war, aber es spielte auch keine Rolle, denn immer, wenn ich gerufen wurde, sagte ich, ich sei gerade beschäftigt.
Bald wurde es langweilig, und ich fing an, Kleinigkeiten wie Essen und Bier aus der Küche zu klauen. Aber wenn ich auf der Arbeit zu klauen anfange, hat das einen Schneeballeffekt, es ist wie eine Sucht, ich kann dann nicht mehr aufhören. Ich sollte z.B. dafür sorgen, dass alle Zimmer abgeschlossen und gesichert waren, aber ich schaute nur, ob eine Tür offen war und ich irgendetwas klauen konnte. Ich klaute Fernseher, Lampen, Stühle und Möbel. Ich brachte das Zeug von einer Seite des Hotels zur anderen, wo ich mein Auto in der Garage geparkt hatte.

Ich machte Pläne, wie ich die ganze Zeit klauen könnte, weil das die einzige nette Beschäftigung während meiner Arbeit war. Mein Hauptziel war es, viele Sachen zu klauen und rauszukriegen, welches das größte Objekt war, das ich klauen konnte, ohne erwischt zu werden. Es gab einen Raum, zu dem ich keinen Zutritt hatte, wo sie Kameras und Diaprojektoren aufbewahrten. Das war eine große Versuchung für mich. Ich hatte zwar viele Schlüssel, aber in diesen Raum konnte ich nicht hinein. Ich fand den Generalschlüssel für alle Türen in einer Schublade im Hausmeister-Zimmer. Ich holte zunächst Audio-Video-Ausrüstungen für ungefähr 700 Dollar raus. Ich erinnere mich an eine andere Situation, wo ich einen Diaprojektor mitnahm: ich brauchte 15 Sekunden, um Mut zu fassen, dann ging ich die Hintertreppe runter, verließ das Gebäude durch den Notausgang und legte einen kurzen Sprint zu meinem Auto hin. Als ich meinen Kofferraum zumachte und wusste, dass der Projektor drin war, war es wie ein Orgasmus. Endlich hatte ich ihn.
Nach einiger Zeit wurde mir das Klauen zu langweilig und ich kündigte.

Aus: Sprouse, M. (1993): Sabotage. ArbeiterInnen aus den USA erzählen. Thekla 16, Berlin.
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Hotelportier - Duncan

In dem Hotel waren ein Drittel alte Leute, die immer dort lebten, das zweite Drittel waren männliche und weibliche Prostituierte, und der Rest waren Durchreisende, die für eine oder zwei Nächte blieben. Ich brauchte eine ganze Weile, um mich an die Arbeitszeiten zu gewöhnen. Der Lohn war wirklich niedrig. Die Chefs waren Ärsche, besonders mein Vorgesetzter, der außerdem ziemlich komisch war. Er war perfekt manikürt, hatte Dauerwelle und gekräuselten Bart, behaarte Brust und Goldkettchen.

Eines Morgens kam er gegen sieben zu mir und fing an, mich wegen irgendeiner blöden Kleinigkeit anzumeckern. Mir ging es nicht besonders gut, aber ich entschuldigte mich trotzdem. Aber er hörte nicht auf und machte noch zehn Minuten weiter. Ich fühlte mich zu krank zum Arbeiten und ging nach Hause. Ich schlief den ganzen Tag und stand erst auf, als ich wieder zur Arbeit gehen musste. Ich kaufte irgendeinen Imbissfraß und aß ihn zu Beginn der Schicht. Mein Vorgesetzter war da, aber nicht zum Arbeiten. Er fing wieder an, mich wegen derselben Sache wie morgens zu nerven. Ich war überhaupt nicht in Stimmung dafür und sagte es ihm. Aber er wollte nicht aufhören. Ich saß in einer Nische, er war ungefähr drei Meter von mir entfernt. Er laberte immer weiter. Irgendwann schrie ich: »Hör endlich mit dieser Scheiße auf!« und schmiss ihm meinen Salat mitten ins Gesicht: die Soße lief über seinen Bart, seine Kleidung und seine haarige Brust. Es war wunderbar. Alle Leute, die dabei waren, fanden es klasse, und er hielt seinen Mund. Nach diesem Vorfall war er sehr nett zu mir. Manchmal muss man den Leuten Grenzen klarmachen...

Aus: Sprouse, M. (1993): Sabotage. ArbeiterInnen aus den USA erzählen. Thekla 16, Berlin.
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