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Kein Kavaliersdelikt

Zur Dimension und den Ursachen der Prostitution mit Kindern im Tourismus

von der Arbeitsgemeinschaft gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern (ECPAT)

Millionen von Kindern auf der Welt werden sexuell ausgebeutet, hauptsächlich in den ärmeren Ländern. Über die genaue Zahl lässt sich mangels amtlicher Statistiken und systematischer Untersuchungen indes nur spekulieren. UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, geht in einer Schätzung von 1997 davon aus, dass weltweit zwei Millionen Mädchen und Jungen zwischen 14 und 18 Jahren in der Prostitution tätig sind. Schätzungen in den einzelnen Ländern legen jedoch die Vermutung nahe, dass die wirkliche Zahl weitaus höher ist: In Indien wird die Zahl der kommerziell sexuell ausgebeuteten Kinder und Jugendlichen auf 400.000 geschätzt, in Thailand geht man von 60.000 bis zu 800.000 aus. Auf den Philippinen sollen zwischen 50.000 und 100.000 Kinder in der Prostitution arbeiten, in Brasilien wird ihre Zahl zwischen 250.000 und einer halben Million veranschlagt. Und zeitgleich mit den alarmierend hohen Steigerungsraten sinkt kontinuierlich das Alter der ausgebeuteten Kinder.
Gewerbliche Kinderprostitution findet längst nicht mehr ausschließlich in den ›klassischen‹ Zielländern der Sextouristen wie Thailand, Sri Lanka, den Philippinen und Indien statt. In Südost-Asien zieht es die Täter in letzter Zeit verstärkt nach Kambodscha und Vietnam, in Südamerika nimmt der Sextourismus besonders in Brasilien, der Dominikanischen Republik und auf Kuba zu, und in Afrika ist Kenia schon lange nicht mehr das einzige Land, in dem Kinder kommerziell sexuell ausgebeutet werden. Aber auch direkt vor unserer Haustür in den Ländern Osteuropas sind über Hunderttausend Kinder in das kriminelle Netz der Prostitution geraten.


Kinderprostitution - kein singuläres Problem

Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen durch Touristen in ärmeren Ländern ist ein komplexes Zusammenspiel von Angebots- und Nachfragefaktoren. Und es gibt keinen Königsweg zu dessen Abschaffung. Es müssen vielmehr eine ganze Reihe von Strategien miteinander kombiniert werden, um die Kinder dieser Welt vor diesem Verbrechen zu schützen, seien es die bessere Anwendung der Gesetze, eine weitergehende Sensibilisierung der Öffentlichkeit oder auch die Durchsetzung und Umsetzung von Verhaltenskodizes für die Reiseindustrie. Der Anstieg der Kinderprostitution lief parallel zur Zunahme des weltweiten Tourismus. Auch wenn Einheimische nach wie vor in den Zielgebieten die Mehrheit der Nachfrager stellen und auch wenn nur eine Minderheit der Reisenden sich dieses Verbrechens an Kindern schuldig macht. Ungewollt haben der Tourismus und die Devisen aus den Ländern des Nordens dem »Sexmarkt« in den Entwicklungsländern entscheidende ökonomische Impulse gegeben und zur Entstehung mafiaähnlicher Netzwerke beigetragen. Kinderprostitution ist auch möglich, ohne Kapital einzusetzen, für Waffen- und Drogengeschäfte wird dagegen auch in Verbrecherkreisen ein gewisses Grundkapital benötigt.


Armut in den bereisten Ländern - eine der Hauptursachen

Diese steigende Nachfrage hat das Angebot nicht allein stimuliert, die Ursachen für eine Zunahme der Kinderprostitution liegen auch bei den wirtschaftlichen und sozialen Problemen der bereisten Länder. Armut als eine Hauptursache und das Fehlen eines Schulabschlusses oder einer Berufsausbildung bringt viele Straßenkinder in den Metropolen des Südens dazu, ihren Körper an zahlungskräftige Reisende zu verkaufen. Armut zwingt auch viele Eltern in entlegenen Bergregionen - den Hauptrekrutierungsgebieten der Kinderprostitution - ihre Kinder in die Hände professioneller, über Landesgrenzen hinweg operierender Kinderhändler zu geben. Der Verkaufspreis beträgt oft ein vielfaches des durchschnittlichen Jahreseinkommens, und den Kindern wird zur finanziellen Unterstützung ihrer Familien eine gut bezahlte und sichere Arbeit in den Touristenzentren in Aussicht gestellt. Die Realität sieht dann anders aus. Oft gefangen gehalten, einem enormen psychischen und physischen Druck ausgesetzt und unter dem Einfluss von Drogen werden diese Kinder zur Prostitution gezwungen. Von den hohen Gewinnmargen dieser Arbeit profitieren meist nicht sie und ihre Familien sondern andere: Das globale kriminelle Netzwerk aus Kinderhändlern, Bordellbesitzern, Zuhältern und korrupten Beamten. UNICEF schätzt, dass organisierte Banden mit Kinderprostitution und -pornografie weltweit jedes Jahr rund fünf Milliarden Dollar umsetzen.
Mit wachsender Armut alleine lässt sich jedoch nicht die Zunahme der Kinderprostitution erklären. Einige Familien verkaufen ihre Kinder, andere in der gleichen sozialen Situation wiederum nicht. Zum einen besteht ein enger Zusammenhang zwischen Gewalt und Prostitution, denn viele minderjährige Prostituierte sind schon innerhalb ihrer Familie sexuell missbraucht worden. Zum anderen- führt die Anziehungskraft westlicher Konsumgüter und die weit verbreitete Geringschätzung von Frauen und Mädchen dazu, die Skrupel der Männer zu mildern, an ihren »Besitztümern« zu verdienen.


Die Sextouristen - Pädofile und ganz ›normale‹ Männer

Und die Männer, die sich an Kindern vergreifen? Auch sie profitieren von diesem sozialen und ökonomischen Machtgefälle. Aber was sind dies eigentlich für Menschen, die typischen Sextouristen, und was treibt sie in diese Länder? Ende der achtziger Jahre, als auf Druck von ECPAT und vielen anderen Gruppen die breite Öffentlichkeit über das Problem der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern informiert und sensibilisiert wurde, versorgten uns die Massenmedien mit recht einfachen und oft sensationslüsternen Klischees. Die Prostitutionstouristen waren demnach fette, alte und hässliche Männer aus den industrialisierten Ländern des Nordens, eine irgendwie vom Feminismus verstörte Randgruppe des männlichen Geschlechts, die zu Hause »nichts mehr abkriegt«. Sie besteigen deshalb den »Bums-Bomber« nach Thailand und andere Länder des Südens und bedienen sich dort gekaufter junger Frauen und Kinder. Klischees bilden sicherlich einen Teil der Wirklichkeit ab - die Situation vor Ort zeigt aber ein weitaus differenzierteres Bild. Männer, die Kinder sexuell missbrauchen, mögen alleine reisen oder an einer organisierten Tour eines weltweit operierenden pädofilen Netzwerkes teilnehmen. Mittlerweile sind auch Fälle von männlichen und weiblichen Kindesmissbrauchern bekannt. Es handelt sich um gewohnheitsmäßige Pädofile, die auch aufgrund der wachsenden Empörung zu Hause in ferne Länder ausweichen, wo der Kindermarkt äußerst zugänglich ist und sie sich selbst bei brutalsten sexuellen Praktiken weitgehend vor Strafverfolgung sicher fühlen dürfen. Der Großteil sind aber sicher sehr viele Gelegenheitspädofile, die wahrscheinlich nicht vor dem Antritt ihrer Reise die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern geplant haben. Jedoch nehmen sie die sich ihnen so leicht bietende Gelegenheit zu ein bisschen »Urlaubsspaß« und neuen Erfahrungen auf Kosten anderer bereitwillig mit. Sie folgen der Devise »Im Urlaub gelten andere Regeln«. Weit weg von jeglicher sozialen Kontrolle tun sie Dinge, die zu Hause Tabu sind. Männer und die wenigen Frauen, die Kinder sexuell missbrauchen, kommen aus allen sozialen Schichten: Das Spektrum reicht von Arbeitern und Angestellten bis zu Führungskräften, von Landwirten bis zu Lehrern. Beruf und Einkommen scheinen ebenso wenig eine besondere Rolle zu spielen, wenngleich die Täter zu Hause durchaus eher in Bereichen arbeiten, in denen sie unmittelbaren Kontakt zu Kindern haben und überdurchschnittliche bis gute Einkommen verfügen. Es sind auch alle Altersgruppen vertreten.


Prostitution mit Kindern ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Verbrechen

Den typischen Mann, der Kinder sexuell missbraucht, gibt es nicht. Es handelt sich bei ihm vielmehr um den unauffälligen, vielleicht attraktiven und verheirateten Herrn Jedermann aus der Nachbarschaft, der im Urlaub in einem fernen und armen Land soziale und moralische Normen so selbstverständlich ablegt wie die Straßenkleidung am Strand. Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern, ein international geächtetes und strafbares Verbrechen, wird von ihm oft als »Kavaliersdelikt« abgetan. Die Sextouristen reden sich bei ihrem »Vergnügen« ein, dass Sex mit Kindern im Urlaubszielgebiet akzeptabler und von hiesigen Vorurteilen frei sei. Sie gehen fälschlicherweise davon aus, dass in bestimmten, ihnen meist gänzlich unbekannten Kulturen aufgrund des niedrigen Heiratsalters sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern normal seien. Viele rechtfertigen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern auch mit der Begründung, dass ihr Verhalten den Kindern helfe, Geld für Essen und eine allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen zu verdienen. Die Armut anderer kann und darf aber keine Rechtfertigung für eine kommerzielle sexuelle Ausbeutung sein, zumal der finanzielle Gewinn meist nicht dem Kind oder seiner Familie zugute kommt, sondern den kriminellen Netzwerken. Tabus werden bei den Reisenden niedriger angesetzt, was zur Entlastung etwaiger Schuldgefühle beiträgt. Dabei verschließen sie die Augen vor dem Zwangscharakter dieser »Arbeit«, denn die Kinder tun dies, anders vielleicht als erwachsene Prostituierte, nicht freiwillig. Entweder wurden sie verschleppt, von ihren Familien verkauft, oder sie sichern sich als Straßenkinder mangels Alternativen durch Prostitution und Betteln ein bescheidenes Existenzminimum. Nicht nur deutsche Urlauber nützen dieses Machtgefälle aus. Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern ist ein weltweites Problem. Schließlich treibt eine weitere Illusion die zahlungskräftigen und erlebnishungrigen Kunden zu den minderjährigen Prostituierten: Die Angst vor der Ansteckung mit dem HIV-Virus bei gleichzeitig mangelnder Bereitschaft, sich und andere beim Geschlechtsverkehr zu schützen, hat zu einer immensen Nachfragesteigerung nach Jungfrauen und Kindern geführt. Ungeschützter Sex mit Kindern ist aber alles andere als sicher, denn die gewaltsame Penetration eines Kindes durch einen Erwachsenen kann sehr leicht Verletzungen und Blutungen verursachen, die das Risiko einer HIV Übertragung noch erhöhen. Im Durchschnitt ist heute mindestens jedes zweite Kind, das aus einem Bordell in Thailand befreit und getestet wird, mit dem AIDS Virus infiziert.

Quelle: ECPAT »Aktiv zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung. Schulungsmaterialien für die Reisebranche. Freiburg, 2000.




You want girl, mister?

Kindersextourismus in Kambodscha

von Malcolm Macalister Hall

Svay Pak ist eine heruntergekommene Barackenstadt nördlich von Phnom Penh, in Kambodscha, einem der ärmsten Länder Südostasiens. In den Bretterverschlägen um die unbefestigten Straßen und Gassen von Svay Pak versuchen Familien mit bis zu zehn Kindern von 2000 Riel (ca. 40 Cent) pro Tag zu leben. Es gibt dort nichts zu sehen: keine Tempel, kein Angkor Wat. Dennoch, scheinbar unpassend, fläzten sich etwa 10 gut genährte »Westler« auf den Plastikstühlen eines Cafés. Sie tranken Bier und aßen Pommes und Spaghetti. Svay Pak ist berüchtigt, über Mundpropaganda und das Internet: als Reiseziel für Touristen, die Sex mit jungen Mädchen suchen - mit Kindern.
Bevor ich mich überhaupt gesetzt hatte, war ich von einer Gruppe Jungs umgeben – Werber für die 22 ansässigen Bordelle. »You want girl, mister? You want young girl?« Ich merkte, dass mir die Zigaretten ausgegangen waren, und schlenderte über die Straße zu einem Kiosk. Ein Junge – vielleicht 12 oder 13 Jahre alt – hängte sich an mich und bestellte mir Marlboros. »You want girl - young girl? Very good boom-boom, very good yum-yum,« murmelte er. Das war der örtliche Slang für Sex und Oralsex. »Come, mister. Come. Very nice girl, very young.«
Er führte mich in eine Seitenstraße, durch eine wimmelnde Gasse, über wackelige Bretter, unter denen eine stinkende Suppe aus Abwässern, Plastiktüten und Kokosnussschalen waberte, und durch einen dunklen, engen Gang in eine Holzhütte auf Stelzen. Sie war voller Leute – größtenteils männliche Teenager. Aber da waren auch drei kleine Mädchen. Ich wurde in einen stickigen Sperrholzverschlag geschoben, in dem gerade Platz für ein Bett war. Die Jungs drängten sich darum und schoben die Mädchen nach vorne. »Wie alt sind sie?« fragte ich. »This one 12 years - boom-boom very good,« sagte der Junge, der mich hergebracht hatte. »This one 11 years; and this one 10 years - yum-yum very good.« Ihre kleinen Gesichter strahlten mich an. Eines der Mädchen kletterte auf einen Hocker neben mir – vermutlich, um größer auszusehen und so ihre Chancen zu erhöhen. Eine herzzerreißende Geste.
Das war mehr als genug. Es war Zeit zu gehen – oder es zu versuchen. »Ich komme morgen wieder und bringe einen Freund«, log ich. »No, now! Now! You have girl now!« begannen die Jungs zu schreien. Sie schoben mich zurück ins Zimmer. Ich entkam diesem Horrorkabinett nur, indem ich mich des größten Teils meiner neu gekauften Zigaretten sowie einer Hand voll Riels entledigte. Aber ich werde nie die kleine »Zehnjährige« vergessen. Oder die grotesken Dinge, auf die sie jemand trainiert hat und die sie in der verschwitzten Kabine tut.

Auszüge aus dem Artikel »The darker side of travel« von Malcolm Macalister Hall, The Telegraph, 13 September 2003, Übersetzung: Elena Futter




Kindersextourismus in Thailand

Landkonflikte durch Natur(park)tourismus

von Annelie Ringmann

Irgendwo in Deutschland: die 10-jährige Anna zieht sich ihren rosa Anzug an. Gleich beginnt die Ballettstunde. Irgendwo in Thailand: die 10-jährige Anh zieht sich für ihren Freier aus. Gleich beginnt das Geldverdienen.

Thailand: ein beliebtes Touristenziel: vielfältige kulturelle und religiöse Sehenswürdigkeiten, traumhafte Strände und blutjunge Mädchen zu Spottpreisen. Ein Traumurlaub für viele Männer. Sie nehmen die weite Reise - meist aus Nordamerika oder Westeuropa gerne auf sich. Man(n) bekommt ja was geboten fürs Geld. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Zumindest für die Freier.


Der Preis den die Mädchen zahlen ist zu hoch. Eindeutig.

Die meisten von ihnen kommen vom Land. Die Landwirtschaft dort kann sie nicht mehr ernähren. »Der Hunger und die Armut waren nicht immer so groß. Erst durch den Einfluss des Westens hat sich die Situation erheblich verschlimmert« erzählt Ingrid Brandt, Mitglied der Fischerhuder terre des hommes (tdh) - Gruppe. Die Industrialisierung Thailands bringt nicht nur Reichtum. Noch nie war die Kluft zwischen Armut und Reichtum so groß.

Die Verlierer sind vor allem Familien, die auf dem Land leben. Durch den Raubbau an der Natur wird nicht nur die Lebensgrundlage der Familie zerstört, sondern oft auch der Grundstein für die Prostitution der Kinder gelegt. Sie und ihre Eltern drohen zu verhungern. Es scheint keinen Ausweg zu geben. Da erscheinen die »netten Männer«, die den Kindern eine Ausbildung oder eine gute Arbeit versprechen, als unerhoffte Rettung. »Ihnen wird der Himmel auf Erden versprochen« erklärt Gudrun Rohmeyer, die ebenfalls bei der tdh-Gruppe aktiv ist. Dass es sich bei diesen Männern nicht um wohltätige Arbeitgeber, sondern um Mädchenhändler handelt, wissen die Familien nicht. Das erfahren die Kinder erst später - und zwar am eigenen Leib.

Dabei ist Sex mit Minderjährigen in Thailand offiziell verboten. Bis zu sechs Jahre Haft drohen bei einem Verstoß. Die Sextouristen kümmert das jedoch wenig. Viele sehen sich sogar als Wohltäter, die nur eine andere Art von Entwicklungshilfe zahlen. Auch leben viele Urlauber aus den vermeintlich aufgeklärten westlichen Nationen in dem Irrglauben, dass Sex mit Kindern die Gefahr einer HIV- Ansteckung begrenzt.

Dabei ist das Gegenteil der Fall: neben den seelischen Schäden erleiden die Kinder auch körperliche Verletzungen, die das das Risiko einer Ansteckung erhöhen. Die Folgen sind fatal: etwa 13 900 Kinder in Thailand sind bereits infiziert. Tendenz steigend. Viele Männer wollen sich in ihrem »All-inclusive-Urlaub« richtig etwas gönnen: Jungfrauen sind gefragt. So werden die Kinder immer jünger.
Übrigens gab es 1950 im ganzen Land nur 20 000 Prostituierte. Das änderte sich schlagartig, als Thailand zum US-Stützpunkt im Vietnamkrieg wurde. 1974 war bereits ein neuer ‘Arbeitsmarkt’ entstanden: 400 000 Frauen und Mädchen verdienten ihr Geld durch Prostitution. Nach dem Vietnamkrieg entwickelte sich Thailand zu einem Eldorado für Sextouristen. Heute gibt es dort etwa eine halbe Millionen Menschen, die ihr Geld durch Prostitution verdienen.

Die betroffenen Kinder fangen oft an Drogen zu nehmen, um der schrecklichen Realität zumindest für eine kurze Zeit zu entfliehen. Dafür benötigen sie Geld. Und Geld gibt es von den Sextouristen. Die fliegen dann - nachdem sie sich ausgiebig vergnügt haben - zurück nach Hause. Vielleicht zu Ehefrau und Tochter. Und vielleicht ist die Tochter zehn Jahre alt und heißt Anna. Und vielleicht hat sie sich gerade überlegt, mit Ballett aufzuhören und mit Reiten anzufangen. Macht mehr Spaß. Papa zahlt ja.





Das Begehren nach Eroberung

Ein Versuch, die sexuelle Ökonomie neu zu kodieren

von Ursula Biemann

Sextourismus, Heiratsmigration und Frauenhandel sind unterschiedliche Formen sexuell motivierter und funktionalisierter Mobilität, die ihre eigenen Industrien und Märkte entwickelt haben. Dennoch sind diese verschiedenen, geschlechtlich bestimmten Bewegungen dynamisch miteinander verbunden. In den 90er Jahren kam es im Zuge der Globalisierung zu einer drastischen Zunahme der Mobilität in alle Richtungen, die mit dem Internet eine weitere Dimension dazu gewonnen hat. Dabei ist nicht nur eine Beschleunigung zu verzeichnen, sondern auch bestimmte Verschiebungen im Diskurs.

Wenn wir Thailand und die Philippinen als Epizentren des Sextourismus etwas genauer anschauen, wird schnell klar, dass diese Entwicklung nicht einer Naturgegebenheit zuzurechnen ist, die mit dem dort angesiedelten Frauentypus zu tun hätte. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, dass diese beiden Länder die wichtigsten U.S.-amerikanischen Militärstützpunkte während der Vietnam- und Koreakriege waren. Auf den Philippinen befanden sich mit 21 amerikanischen Basen die größten Militäreinrichtungen außerhalb der U.S.A. Das benachbarte Thailand diente während des Vietnamkriegs als An- und Abflugsbasis für die Angriffe. In beiden Ländern wurden »Rest and Recreation Camps« gebaut, in denen sich die Soldaten, die G.I.s, zwischen den Einsätzen erholen und vergnügen konnten. Um die Militär- und Marinebasen herum entwickelten sich rasch große Prostitutionsstätten, deren personeller Bedarf die lokalen Ressourcen bei weitem überstieg. Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: In Korea bedienen noch heute 27.000 Prostituierte die amerikanischen Militärs; die meisten stammen traditionsgemäß aus den Philippinen, seit einigen Jahren kommen auch Russinnen dazu. Dass diese Frauen allesamt wissend oder unwissend dorthin transportiert werden mussten, ist eine kontinuierliche Begleiterscheinung von militärischen Unterfangen fern von zuhause.

Über die Involvierung des Militärs in den internationalen Menschenhandel gäbe es viel zu sagen. Die Fragen, die allerdings hier mehr interessieren sind: Was wurde aus den Frauen, nachdem die G.I.s zurückkehrten und was passierte mit den Vergnügungsstätten, als die Militärs sie nicht mehr brauchten?
Zum einen hatten viele Thailänderinnen persönliche Kontakte mit den im Mekong stationierten G.I.s geknüpft, die sie nach deren Rückkehr nutzten, um nach Nordamerika und Europa auszuwandern. Es entstand eine rückläufige Bewegung, in der im Laufe der 70er Jahre etwa ein Drittel der Thailänderinnen, die im Sexgewerbe beschäftigt waren, in den Westen reiste. Der Fluss weiblicher Migration entlang dieser Routen nach Europa, Nordamerika und Japan ist nie abgebrochen, sondern hat sich durch den Nachzug von Freundinnen und Verwandten reproduziert und verselbständigt. Dem aufkommenden Sextourismus in Europa kam dieses frische Angebot von immer neuen asiatischen Gesichtern auf dem lokalen Sexmarkt sehr entgegen. Die Kunden brauchten sich keine teuren Reisen zu leisten, sie konnten exotischen Tourismus gleich in der Gogo-Bar an der Ecke betreiben. Ein Teil der »Entertainerinnen«, wie sie in Südostasien meist genannt werden – wohl die erfolgreicheren unter ihnen – zogen in den Westen. Für die anderen brachte der Abzug der U.S.-Truppen ein krasses Ende ihrer Existenzsicherung.

In Thailand schien sich dieser Einbruch stärker auszuwirken als in den Philippinen, wo die Navy- und Marine-Basen noch bis 1991 aktiv waren. Ihre Kriegsschiffe blieben mit rund 10.000 Mann für mehrere Monate für Trainingszwecke vor Ort stationiert, die die Vergnügungsindustrie, zumindest partiell, in Gang hielten. In Thailand hingegen blieben nach Rückzug der Militärs die groß angelegten Rotlichtzonen mit unzähligen Bars, Restaurants sowie Nachtclubs ungenutzt zurück und mit ihnen das Dienstpersonal, die Gogo-girls, Escortmädchen und Masseusen. Und so kam die thailändische Regierung auf die Idee, diese Infrastrukturen für touristische Zwecke umzufunktionieren. Die Umnutzung brachte keine Veränderungen in das Kolonialverhältnis zwischen der westlichen Besetzermacht und dem ›Gastland‹. Die gebauten, auf militärischer Ideologie basierenden Strukturen auf fremden Territorien konnten nur mehr dieselbe Ideologie in anderer Form reproduzieren. So multiplizieren sich die materialisierten Machtverhältnisse selbst und bestimmten ihrerseits die kolonialistischen und sexistischen Parameter weiterer möglicher Anwendungen.

Die thailändische Regierung lancierte eine weltweite Werbekampagne für eine bestimmte Form von Tourismus, die sich an ein männliches, zahlungskräftiges Zielpublikum richtete. Die Werbung für das Reiseziel Thailand präsentierte somit meist die »Thai Frau« als begehrenswerte Dienstleistung. Innerhalb weniger Jahre wurde Thailand für die ›Naturressourcen‹ seiner hochkultivierten, raffinierten, erotischen Frauen berühmt. Sie erscheinen in leuchtender Seide gekleidet, mit Blumen geschmückt, sanft lächelnd und stehen für Anmut, Bezauberung, Verführung und Erotik, die der Thailänderin eigen sein sollen. Über den ethnozentrischen Diskurs hinaus, welche die Frau innerhalb von ethnischen und sexuellen Kriterien einkapselt, wird die thailändische Frau durch solche Bilder an eine allgemein exotisch/erotische nationale Einheit gebunden. Dies reduziert sie weiter auf eine Allegorie für einen geschlechtlich, ethnisch und national gezeichneten Kollektivkörper, wobei die nationalen Tugenden eng mit den Interessen der Tourismusindustrie verknüpft sind. Während dieser Vorgang den weiblichen Körper nationalisiert, feminisiert er gleichzeitig die Thai-Nation.

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass in der Tourismuswerbung das Bild einer einzelnen Person für den vermeintlichen Zustand oder die Ambitionen einer ganzen Nation steht. In dieser Funktion kann die weibliche Darstellung nichts über Thailänderinnen und die Komplexität ihrer kulturellen und sexuellen Sozialisierung aussagen, sondern reflektiert lediglich eine imaginierte Handlung, die an ihr vollzogen wird. Die Bilder naturalisieren die Frau, indem sie mit Früchten, Blumen und Schmetterlingen geschmückt wird und neutralisieren sie gleichzeitig in der Gegenüberstellung zu einer kultivierenden, aktiven, eingreifenden, männlichen Haltung. Es ist schwer zu übersehen, dass die visuell konstruierten Geschlechterbeziehungen die Machtverhältnisse der kolonialen und militärischen Eingriffe wiedergeben. Der weibliche Körper schließt immer schon das Begehren nach Eroberung in sich ein. Von Anfang an war die Feminisierung des Landes eine Strategie der gewaltsamen Bändigung und Eindämmung. Die Erzeugung dieses historisch kultivierten Begehrens in der Werbung verdeutlicht die Rolle, welche dieses Begehren auch heute im Tourismus spielt. Es stellt die Körper der Frauen in die Fantasiegeschichte der kolonialen Eroberung hinein.

Zurück zum Mekong. Umgeben von ärmeren Ländern unter sozialistischen oder diktatorischen Regimes blüht und wächst Thailands Sexindustrie und entwickelt fordistische Dimensionen. Die Nachfrage nach neuen Frauen, die ins Gewerbe einsteigen wollen, wird immer dringlicher, nachdem viele der qualifizierteren Frauen, z.B. jene mit Englischkenntnissen, ausgewandert sind. Freiwillig oder unfreiwillig kommt seit 1991 massiver Nachschub aus den ruralen, post-sozialistischen Ländern Laos, Vietnam und Kambodscha. Ein Großteil der Frauen an den Sexstränden in Pattaya, und Pukhet, oder auch im Patpong, dem Rotlicht-Distrikt Bangkoks, sind längst nicht mehr Thailänderinnen, sondern kommen aus diesen ärmsten Gebieten; viele unter ihnen sind minderjährig und tragen hohe familiäre Verantwortung. Nicht selten werden diese Mädchen mit falschen Versprechen über die Grenze geschmuggelt und in geschlossene Bordelle gesteckt oder unter anderen Formen der langjährigen Abhängigkeit zu ungewollter Sexarbeit verbannt. In aquariumartigen Glasräumen werden sie dort aufgereiht und der männlichen Käuferschaft angeboten. Fragile Minoritäten, wie die Hochlandbevölkerung in Burma nahe der Grenze zu Thailand, sind derart geplündert worden, dass es in einigen Dörfern gar keine Mädchen mehr gibt. Wie jedes Gewerbe ist der Sextourismus ein vielschichtiges Gefüge für unterschiedliche Preisklassen. Oft kriegen wir hier nur die glitzernde Oberfläche zu sehen. Wenn ich jedoch von Sextourismus rede, meine ich immer auch Frauenhandel.

Es geht mir aber nicht darum, anstelle der verführerischen weiblichen Darstellungen, die eine natürliche Freude am Dienen und Befriedigen vorgaukeln, nun düstere Bilder der Einschließung und Versklavung heraufzubeschwören. Nicht, dass diese Umstände nicht existieren und aus dem internationalen Sextourismus resultieren würden. Das Problem dabei ist aber, dass diese beiden Repräsentationen weiblicher Sexualität polare Extrempositionen darstellen, die innerhalb der Parameter einer männlichen Symbolik funktionieren. Die beiden Vorstellungen von Weiblichkeit haben sich immer schon gegenseitig bedingt. Natürlich stoßen wir beim Bildermachen immer an die Grenzen unserer Vorstellung, aber was Konzepte von Weiblichkeit angeht, ist das kulturelle Imaginäre beim Konstruieren dieser polaren Kategorien besonders simplistisch und eng. Es ginge also für eine Strategie der Repräsentation bezüglich der ökonomischen Dimension weiblicher Sexualität immer auch darum, den imaginären Raum, in dem Weiblichkeit geschrieben wird, zu erweitern und neu zu definieren.

In der Bearbeitung dieser Problematik für das Video »Remote Sensing« begann ich mich für die Grauzone zu interessieren, die sich zwischen der Haltung, freiwillig ins Sexgewerbe zu migrieren oder zur Prostitution gezwungen zu werden, auftut. Nach menschenrechtlichen Gesichtspunkten gibt es hier einen entscheidenden Unterschied, faktisch gesehen ist aber die wirtschaftliche Notwendigkeit wohl für viele ‘Freiwillige’ genauso zwingend. Es scheint mir müßig, moralische Unterschiede herauszustreichen. Viel interessanter ist die Zone, in die sich Frauen begeben, wenn es um die Verhandlung ihrer Körper, ihrer Sexualität, ihrer Emotionen, ihres Freiraums und Handlungsspielraums geht.
Dabei begeben wir uns in eine Diskussion von Interkulturalität, denn eine westliche Schreibposition, die vermeint zu wissen, wie es um die Sexualität einer Südostasiatin steht, ist schwer haltbar. Prostitution meint auf der ganzen Welt das Gleiche: der Austausch von Geld und Sex. Im Gespräch mit Filipinas wurden mir allerdings einige Unterschiede klar. In Europa ist es eher so, dass man einen Deal macht und gleich an die Arbeit geht. In Südostasien aber ist das Konzept von Prostitution ein anderes – ob das immer schon so war, ist schwer zu sagen. Spätestens mit den langen Aufenthalten der G.I.s auf den Inseln jedoch mussten die »Entertainerinnen«, die mit einer monatelangen Beziehung mit dem Kunden zu rechnen hatten, ihre Haltung anpassen. Auch heute ist es oft so, dass Sextouristen während mehrerer Tage oder der ganzen Ferienzeit mit ein und derselben Frau verkehren. Durch diese Sozialisierung geht die Prostituierte nicht gleich auf ein Geschäft ein, sondern etabliert erst eine Beziehung durch freundliche Annäherung. Ihre Motivation ist Geld. Bei Bedarf kann sie aber auch Anteilnahme und Zuneigung spielen, was von dem Kunden oft als echte Liebesgefühle missinterpretiert wird und zu leidenschaftlichen und eifersüchtigen Szenen führen kann. Das wiederum erstaunt und amüsiert die Prostituierte, denn für sie ist dies alles »business as usual«. Diese Unterschiede geben Anlass zu Verwirrung und bringen kognitive Wahrnehmung der (Sex-)Touristen durcheinander. Auf jeden Fall ist der Umstand, dass der westliche Tourist sich dort nicht nur mit sexuellen, sondern auch emotionalen Diensten eindecken kann, eine wesentliche Motivation, diese Reise anzutreten.
Ob sich die Verwischung dieser Dienstleistungen für die »Entertainerinnen« auch auszahlt, ist eine andere Frage. Die Regelung des monetären Austauschs verstärkt die möglichen Missinterpretationen. Die 6.000 Filipinas, die beispielsweise in Angeles City, der ehemaligen U.S. Base auf der Philippinischen Hauptinsel Luzon, mit einem Nachtclub in Vertrag stehen, erhalten keinen Lohn, sie arbeiten auf reiner Kommissionsbasis. Wenn sie sich mit einem Kunden einlassen, muss er dem Papasan oder der Mamasan, den Barbesitzer-ZuhälterInnen, lediglich eine Entschädigung (Barfine) für die Zeit bezahlen, in der das Mädchen außer Haus ist. Sie wird nie direkt für Sex bezahlt. Für den Kunden, der oft schon nach wenigen Tagen meint, das erotische und romantische Interesse bestünde auf Gegenseitigkeit, ist das irreführend. So irreführend, dass er schon bald vergisst, dass es sich um ein Geschäft handelt. Von der Barfine erhält das Mädchen nur einen geringen Prozentsatz, vielleicht fünf Prozent, von dem sie nicht leben kann. Sie ist somit auf Geschenke und Goodwill seitens der Kunden angewiesen, was sie nicht nur in emotionale Abhängigkeit drängt, sondern auch um ihre Privatsphäre bringt. Für die tagelange Begleiterin mit unklarer Arbeitsbeschreibung ist die Grenze zwischen Arbeit und Privatem aufgehoben. Sextourismus begründet sich auf einer komplexen emotionalen und sexuellen Ökonomie, die kulturell bedingt ist und eine lange Geschichte hat. Mit einer einfachen Ausbeutungslogik ist es nicht getan.

Dass Frauen von den ärmsten Inseln und abgelegenen, von der globalen Wirtschaft marginalisierten Gebieten zur Existenzsicherung den Weg in die Sexindustrie wählen, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Genauso viele Frauen sehen heute das Internet als Chance, mit einem westlichen Mann in Kontakt zu treten, mit der langfristigen Absicht, auszuwandern. In den 90er Jahren hatten Frauen aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion ihren Auftritt im Cyberspace. So ist beispielsweise getmarriednow.com eine selektive »business class«-Webseite, die russische Models mit Universitätsabschluss anbietet. Die Anbieter kündigten erst kürzlich an, weitere 2.000 Videos von Frauen aus Novosibirsk, Russland, Sibirien und der Ukraine auf ihrer Homepage zur Schau zu stellen. Der Brautmarkt ist ein Ort der boomenden Kommerzialisierung sexuell motivierter Beziehungen. Viele Webseiten, die mit Frauen für Korrespondenz, Freundschaft oder Heirat werben, bieten auch ein Reisepaket zu den ‘exotischen’ Herkunftsorten dieser Frauen an. Verschiedene Formen männlichen Begehrens zu konsumieren, zu besitzen und zu kolonisieren ergeben einen eigenartigen Mix auf diesen Webseiten.

Der Heiratsmarkt blüht natürlich nicht nur deshalb, weil viele Frauen ausreisen wollen. Männer haben ebenfalls eine ganze Reihe von Gründen, warum sie diesen Vertrag eingehen wollen. Wenn die Frauen auf den Webseiten als weiblich und traditionell, liebevoll und bescheiden, lächelnd und sanft angepriesen werden, können wir dies vielleicht am besten als backlash gegenüber der westlichen Frauenbewegung verstehen. Tatsächlich sind die dicken Reise- und Heiratskataloge mit einem Angebot von hunderten von Thailänderinnen und Filipinas mit dem Aufkommen des Sextourismus Ende der 70er Jahre, also parallel zur Frauenbewegung verbreitet worden. Die Asiatin gilt auch heute noch als verlässliche, fügsame Ehefrau, die nicht mit emanzipierten Forderungen aufwartet, was einmal mehr zeigt, dass rassistische Zuschreibungen dieser Art der Inszenierung von Machtgefällen dient. Es ist kein Zufall, dass das weibliche Reservoir von Novosibirsk und den philippinischen Inseln angezapft wird, wenn Frauen mit traditionellen Qualitäten in Europa und den USA immer schwieriger zu finden sind. In der Tat sind es typischerweise Männer in den Vierzigern, die nach Kirgistan oder Thailand reisen. Sie kommen eben aus einer Scheidung, sind desillusioniert über den Verlauf der Dinge und auf der Suche nach einer traditionelleren Art von Beziehung, in der sie umhegt und bewundert werden.
Diese Formen männlicher Bedürftigkeit sind natürlich ebenso kulturell konstruiert, wie die klischeehaften Vorstellungen asiatischer Weiblichkeit, die diesen Wünschen entsprechen soll. Derartig eingefahrene Geschlechter-Stereotypen umzuwenden ist ein mühsames, ja fast unmögliches Projekt, von dem ich mich in meiner künstlerischen Arbeit distanzieren möchte. Was mir als viel versprechende Möglichkeit erscheint, ist eine Rekontextualisierung des Diskurses um weibliche Migration und globaler Mobilität in Bezug auf Sexarbeit, weg von einem Ausbeutungsdiskurs, der wohl die Machtverhältnisse kritisieren mag, sie gleichzeitig aber auch fixiert und stabilisiert.

In »Remote Sensing« schlage ich eine Diskursverschiebung in eine geographische Richtung vor. Mit Geographie ist keine unpolitische Weltbeschreibung gemeint, sondern eine eigene Sprache, ein Bedeutungssystem, durch das wir das Subjekt in Zusammenhang mit dem Ort und mit Begriffen von Zugehörigkeit, Grenzen und Überschreitung denken können. Kapitalismus baut nicht nur materielle sondern auch komplexe soziale Landschaften. Es ist diese soziale Geographie, die in den Bildern, die ich in Südostasien gesehen und gemacht habe, artikuliert wird. Sie wird im Zuge der globalen Dislozierung von Frauen und der Sexualisierung ihrer Arbeit neu kartiert: durch ihre Bewegung aus der Armut und Langeweile ländlicher Gebiete in die Städte und in reichere Länder, durch ihre Rekrutierung unter Minoritäten und Slumgemeinschaften, der Reisen entlang der Schmuggelpfade und Handelsrouten, über Grenzen, in die Touristenzentren oder ins Ausland – all dies für Arbeit in der Sexindustrie. Dort bauen sie Übersee-Ökonomien auf und entwerfen alternative (Über-)Lebensformen an den Rändern einer plankapitalistischen Realität.

Gekürzte Fassung aus: Backes u.a. (Hrsg.): Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur, Freiburg, 2003. www.iz3w.org




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