Thorsten Gross
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Love-Affairs

Flirten auf Reisen
Latin Lover - Frauen auf Beziehungsreisen
Liebe, Geld und Rastafari
Jeder Kubaner könnte ja ein jinetero sein
Bumsters aus Gambia
Wild – Fremd – Frau
Stories from Paradise
Projekte/Workcamps

»Sie versprechen, den Kontakt zu halten, aber wenn sie weg sind, hört man nie wieder von ihnen.«

Ismaila, The Gambia




Ein Flirt im Urlaub macht Spaß. Man fühlt sich frei und ungezwungen und macht Dinge, die man sich zu Hause vielleicht nicht trauen würde- ein Flirt gehört zu dem intensiven Lebensgefühl, das man sich vom Reisen erträumt. Und eine Affäre mit einer Frau oder einem Mann aus einem fernen Land ist irgendwie besonders aufregend, denn Unterschiede ziehen an, heißt es. Aber es gibt nicht nur Kulturunterschiede zwischen TouristInnen und Einheimischen, sondern auch Machtbeziehungen, z.B. ökonomischer Art – vor allem wenn der Urlaub nicht nach Frankreich oder Norwegen geht, sondern in ein Land der »Dritten Welt«.





Latin Lover- Frauen auf Beziehungs-Reisen

von Tina Goethe

Susanne hat letztes Jahr in Venezuela Omar kennen gelernt, sie schreiben sich jetzt regelmäßig, im August fährt sie natürlich wieder hin; Silke hat mir Fotos von Nancho aus Chile gezeigt, aber seit sie wieder hier ist, hat sie noch nichts von ihm gehört; Uli hat Idalia aus Panama für drei Monate nach Deutschland eingeladen, mal sehen was draus wird; so hatten sich das Margot und Renato auch gedacht, ist aber fürchterlich in die Hose gegangen – zurück nach Kuba wollte er dann aber auch nicht mehr...

Die Gründe, eine Affäre im Urlaub einzugehen, sind natürlich für jedeN verschieden. Reisende suchen meist etwas anderes als die im Urlaubsziel Lebenden. Für Frauen beispielsweise scheint eine Liebesbeziehung im Reiseland unter anderem auch die Möglichkeit zu bieten, sich ganz und intensiv auf die andere Gesellschaft und ihre Kultur einzulassen. Sie (natürlich spreche ich hier nicht für alle reisenden Frauen und bestimmt gibt es auch Männer, für die die folgenden Überlegungen gelten!) versprechen sich von dem intensiven Kontakt eine Art bereichernde Reiseerfahrung. Dabei ist der einheimische Mann nicht nur Sexobjekt (wie im von Männern dominierten Sextourismus), sondern die persönliche Verbindung zur anderen Kultur. Als Türöffner und Kulturvermittler erleichtert er der Frau Erfahrungen innerhalb der anderen Gesellschaft. In erster Linie geht es jedoch um Erfahrungen mit sich selbst. Das fremde Land und der fremde Mann bieten die Möglichkeit, sich selber neu und anders zu erleben, Phantasien auszuleben sowie den romantisch-exotischen Illusionen vom Latin Lover näher zu kommen. Als westliche Touristinnen genießen die Frauen dabei Unabhängigkeit und Sicherheit: sie sind diejenigen, die entscheiden, wann sie kommen und gehen. Im Unterschied zu einheimischen Frauen können sie also die »Vorteile« eines Machos genießen- sie werden umworben und zuvorkommend behandelt, ohne sich den traditionellen Rollen tatsächlich ausliefern zu müssen. Andererseits bietet die Männerrolle in Lateinamerika westlichen Frauen die Möglichkeit, unbekümmert einen starken und erotischen Mann zu bewundern, was zu Hause- so ungebrochen- kaum noch möglich ist.

Die einheimischen Männer wiederum suchen die Möglichkeit, sich aus den engen Verhältnissen ihrer eigenen Gesellschaft mit ihren Regeln und Rollenvorstellungen zu lösen, symbolisch wie faktisch. Die Hoffnung, mit der Frau irgendwann das Land verlassen zu können, spielt dabei oft eine Rolle. Ausländische/westliche Frauen wirken modern, unkompliziert, freizügig. Sie scheinen ebenso viel Geld wie Zeit zu haben (sind ja im Urlaub). Im Unterschied zu den Frauen des Landes sind Touristinnen an keinerlei Pflichten oder Verantwortungen gebunden. Vor diesem Hintergrund sind Urlaubsflirts oder Reise-Lieben daher alles andere als frei, leicht und spaßig, wie sie auf den ersten Blick vielleicht aussehen mögen. Innerhalb solcher Beziehungen herrschen Hierarchien, Abhängigkeiten und Ungleichheiten. Dabei kreuzen sich insbesondere bei der Konstellation westliche Frau und einheimischer Mann Machtverhältnisse innerhalb der Geschlechter mit denen der internationalen Verhältnisse: Frauen können auf Grund ihres sozialen und ökonomischen Status als westliche Touristin dominante Rollen in Beziehungen einnehmen, als Frau sind sie jedoch nach wie vor sexistischen und patriarchalen Strukturen untergeordnet.





Liebe, Geld und Rastafari

von Deborah Pruitt und Suzanne LaFont

Viele europäische und nordamerikanische Frauen suchen im Rahmen ihrer neugewonnenen wirtschaftlichen Unabhängigkeit neue Identitäten jenseits der Grenzen traditioneller Geschlechterrollen. Durch den Massentourismus werden Teile dieser Auseinandersetzung um die ganze Welt getragen. Losgelöst von den Zwängen der eigenen Gesellschaft haben Touristinnen die Möglichkeit, neue Formen von Geschlechterverhältnissen und Rollenverhalten zu erkunden. Sie sind auf der Suche nach sozialer und ökonomischer Mobilität und probieren neue Formen intimer Beziehungen aus. Um diese Beziehungen von denen des Sex-Tourismus abzugrenzen, wird hier der Begriff Romanze-Tourismus benutzt. Es soll nicht diskutiert werden, ob die Männer Prostituierte sind oder nicht. Bedeutsam ist, dass keineR der beiden Beteiligten die Begegnung als Prostitution begreift, auch wenn andere das so sehen. Während Sex-Tourismus Geschlechterrollen verfestigt und das Machtverhältnis von männlicher Herrschaft und weiblicher Unterwerfung zementiert, liefert der Romanze-Tourismus in Jamaika eine Arena für Veränderungen. Die Touristinnen sind auf der Suche nach einer bereichernden Reiseerfahrung. Sie gehen lieber in kleine einheimische Hotels als in exklusive Clubs, besuchen lokale Treffpunkte und nehmen Kontakt mit den Einheimischen auf. Ihre Bereitschaft (auch wenn sie künstlich ist), die lokale Kultur kennen zu lernen, wird durch den Wunsch nach längerfristigen kulturellen Erfahrungen demonstriert. Der einheimische Mann ist nicht nur Sexobjekt, sondern auch die persönliche Verbindung zur anderen Kultur. Er erleichtert der Frau, Erfahrungen innerhalb seiner Gesellschaft zu machen.

Die Touristinnen sind oft unzufrieden mit den Männern aus der eigenen Kultur. Diese werden als unaufmerksam, zu sehr mit der eigenen Karriere beschäftigt, nicht emotional genug oder einfach als ihrer Rolle unsicher wahrgenommen. Viele Frauen wünschen sich ein Kind und eine Familie. Ihre romantisierte Vorstellung der Alternative, die ein Jamaikaner bieten könne, geht mit der ebenso romantisierten Vorstellung einher, ihm dabei zu helfen, aus der Armut zu entfliehen. Dies verstärkt auch die Intensität und die Schnelligkeit, mit der die Beziehung zustande kommt. Die meisten westlichen Frauen werden in Jamaika mit einem Elend konfrontiert, das ihnen von zu Hause anders oder gar nicht bekannt ist. Die Reaktionen auf die Armut reichen von Schuld und Mitleid bis hin zum Vorsatz des Helfen-Wollens. Kulturelle, bildungsbezogene und ökonomische Unterschiede, die eine Touristin zuhause als einengend empfindet, werden auf der Suche nach einer ‘befreienden’ Erfahrung heruntergespielt oder ignoriert. So kommt es, dass arme afrikanisch-karibische Männer ohne größere Schulbildung und wesentlich ältere, berufstätige Touristinnen zu Partnern werden. Die Touristinnen sind in der Lage, dominante Rollen in der Beziehung einnehmen zu können. Ihr ökonomischer und sozialer Status garantiert Sicherheit und Unabhängigkeit, die wiederum in Macht und Kontrolle innerhalb der Beziehung umgesetzt werden. Diese Abhängigkeit garantiert, dass er völlig verfügbar ist, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und nicht anderweitig beschäftigt ist, wie die Männer der eigenen Kultur. Feurige Liebeserklärungen (»sweet talk«), Komplimente usw., die zum Repertoire jamaikanischer Männer gehören, werden von den ausländischen Frauen, denen dies nicht vertraut ist, als erfrischend und leidenschaftlich betrachtet. Das Umwerben erfüllt viele Bedürfnisse der Frauen, die nach ›verbotenen‹ Erfahrungen oder Beziehungsidealen suchen, oder die mit den Anstandsregeln der eigenen Kultur zu kämpfen haben, in denen Sex immer mit Liebe verknüpft ist.

Die Hoffnung der Männer ist, dass die Beziehung mit einer ausländischen Frau sie aus ihren eingeschränkten Verhältnissen herauslöst. Deswegen werden die jungen Männer aus den ländlichen Regionen Jamaikas zu Hustlers und nehmen die Rolle des informellen Reiseführers oder Kleinstunternehmers ein, um sich ein paar Dollar zu verdienen. Die Ausbreitung des Romanze-Tourismus hat bewirkt, dass immer mehr junge Männer die Beziehung zu einer ausländischen Frau als einzige Möglichkeit sehen, Liebesleben und Lebensunterhalt unter einen Hut zu bekommen. So ist die Erfüllung der Männerrolle in Jamaika von Arbeitsmöglichkeiten und Einkommen abhängig. Während also die finanzielle Situation des Mannes in seiner eigenen Kultur von großer Bedeutung ist, so sind Beziehungen mit Ausländerinnen nicht davon abhängig. Dies verstärkt die Beziehungen zu den fremden Frauen, während sich gleichzeitig seine Erfahrungen mit Macht und Herrschaft verändern. Die finanzielle Unabhängigkeit der ausländischen Frauen dreht die traditionellen Machtverhältnisse um. Er reibt sich an ihrer dominanten Position, denn sein Wille, in der Beziehung der stärkere Part zu sein, ist sehr groß. Um seinen Ruf zu wahren und den Eindruck zu vermeiden, die Frau kontrolliere ihn, sucht der Mann immer neue Wege, um seine Herrschaft über die ausländischen Frauen zu demonstrieren. Er, der hier zuhause ist, kann das Umfeld der Begleiterin kontrollieren, ohne dass es ihr bewusst werden muss, denn sie ist nur im Urlaub hier. Er steht wie ein Puffer zwischen ihr und den anderen, die sie beeinflussen könnten; er macht klar, dass er die Fäden in der Hand hat. Anderen Männern signalisiert er: »Hände weg«. Den von ihr gemieteten Wagen betrachtet er als den eigenen, und er bringt die Frau meist dazu, ihm Konsumgüter zu kaufen. All das soll seine Macht über sie demonstrieren.

Wenn eine westliche Frau eine Beziehung mit einem jamaikanischen Mann eingeht, basiert dies meist auf der Idealisierung der von ihm verkörperten Männlichkeit, in der das Erotische und das Exotische verquickt werden. Der exotische ›Andere‹ wird gedanklich als leidenschaftlicher, emotionaler, natürlicher und sexuell verführerischer konstruiert. Stereotypen von der Sexualität schwarzer Männer - und nichtwestlicher Ethnien im Allgemeinen - sowie reale Unterschiede zwischen den beiden Kulturen fördern den Glauben, dass jamaikanische Männer das archetypisch Männliche verkörpern. Verstärkt wird dies durch das kulturell bedingte Machotum der jamaikanischen Männer. Männer mit Dreadlocks genießen meist mehr Aufmerksamkeit bei den Touristinnen als jene ohne. Diese Anziehungskraft der Rastas auf westliche Frauen wird durch den Mystizismus der Reggae-Musikkultur genährt, die ein Image des Rastamanns als selbstbewusst, natürlich, machtvoll und besonders männlich vermittelt. Das ist ein Grund dafür, warum so viele Männer, die mit Touristinnen zu tun haben, sich als Rastas »stylen« und derart eine »gespielte Authentizität« schaffen. Der Mann mit den Dreadlocks greift die Stereotypen über den exotischen Fremden auf, verstärkt damit den Kontrast zu den westlichen Männern und steigert so seine Attraktivität für die Touristinnen. Da diese ›gestylten‹ Rastas verstärkt Kontakt mit Touristen haben, werden sie gleichzeitig auch vertrauter mit fremden Kulturen. So lernen sie beispielsweise etwas deutsch oder finden heraus, welche Erfahrungen die Touristen suchen. Dies erleichtert den Ausländern den Zugang zur gesuchten ›Authentizität‹ nichtindustrieller Gesellschaften. Dies gilt auch für die Philosophie der Rastafaris: Sie hat die Betonung einer gemeinsamen Identität und Einheit des Geistes zur Grundlage. Der Rasta, der sich den TouristInnen zuwendet, scheint diesen die Erfahrung der Einheit und der Gleichheit anzubieten. Für die Hustler wiederum ist die Rasta-Identität so attraktiv, weil sie ein Männlichkeitsmodell darstellt, das unabhängig von finanziellen Möglichkeiten ist. Die Gruppe der Hustler bildet eine Gemeinschaft, die sich in einem System von Ungleichheit gegenseitig Status und Prestige zubilligt. Diese Gemeinschaft wird zunehmend wichtiger für sie, da die anderen JamaikanerInnen die Hustler meiden, und zwar sowohl wegen ihres Kontaktes mit den Fremden als auch aufgrund der allgemeinen und institutionalisierten Diskriminierung der Rastas. Während die Hustler bei den Touristinnen an Ansehen gewinnen, verlieren sie den Respekt ihrer Gesellschaft.

Die Touristinnen wissen meist nicht, aus welchem gesellschaftlichen Kontext ›ihr‹ Rasta kommt. Sie wissen nichts von seiner spezifischen Geschichte und Kultur, oder sie verwechseln die Symbole mit der Bewegung selbst. Während das Tragen von Rastalocken früher eine ausdrückliche Oppositionserklärung gegen das westliche System der Ausbeutung war, kann es heute die Absicht ausdrücken, innerhalb dieses Systems die eigene Position zu verbessern. Diejenigen Jamaikaner, die sich auf eine Beziehung mit Touristinnen einlassen, stellen bald fest, dass die Romanze in harte Arbeit übergeht. Wenn die Frauen in Jamaika bleiben oder sie die Männer mit in ihr Heimatland nehmen, brechen die Rollenklischees zusammen, und beide lernen den Charakter der anderen Persönlichkeit im Alltag kennen. Die Tatsache, dass die Beteiligten mit verschiedenen Erwartungen in die Beziehung kamen, wird sichtbar, die ökonomische Abhängigkeit offensichtlicher. Wenn eine Frau sich entschließt, in Jamaika zu bleiben, verliert sie eventuell ihre finanzielle Unabhängigkeit oder wird sich der ökonomischen Forderungen, die an sie gestellt werden, bewusster. Sie wird feststellen, dass die Entfremdung ›ihres‹ Rasta von seiner Gesellschaft auch Konsequenzen für sie hat. Die Herausforderung wird noch größer, wenn beide in das Heimatland der Frau ziehen. Dem Mann gelingt es meist nicht, in einer westlichen Gesellschaft so erfolgreich zu sein, wie er es gerne möchte. Wenn er nicht mehr die Rolle des Kulturvermittlers und Reiseführers innehat, werden ethnische sowie alters- und bildungsmäßige Gegensätze, die in Jamaika ohne Auswirkungen zu sein schienen, auf einmal sehr bedeutsam. Er gibt die Unabhängigkeit auf, die er im eigenen Land hatte, und verlässt die Bezugsgruppe, die ihm Ansehen gewährte. So verliert er die Anerkennung für sein Tun, während er in noch größere Abhängigkeit von der Frau gerät.

Die Frauen wiederum sind oft unzufrieden mit dem Partner, weil er andere Vorstellungen von Loyalität und Treue hat, und weil sie fälschlicherweise glauben, dass er einen luxuriösen Lebensstil aufgrund seiner Rasta-Identität ablehnen würde. Der Hustler, der davon ausgeht, dass alle Touristinnen reich sind, ist wiederum möglicherweise desillusioniert, wenn er feststellt, dass das Objekt seiner Aufmerksamkeit im Urlaub zwar noch viel Geld ausgegeben hat, aber weder reich noch extravagant lebt, sobald es wieder zu Hause ist. Die romantischen Beziehungen zwischen Touristinnen und jamaikanischen Männern können mit ihrem einzigartigen Zusammentreffen von Bedürfnissen, Hoffnungen und Wünschen traditionelle Geschlechterrollen über kulturelle Grenzen hinaus verändern. Gleichzeitig schaffen diese Beziehungen neue Machtverhältnisse, die sich von denen der jeweils eigenen Gesellschaft unterscheiden. Die westlichen Frauen, die aus konventionellen Rollenmustern ausbrechen wollen, nähern sich dabei paradoxerweise aber auch konventionellen Vorstellungen von Männlichkeit an. Die Wahrnehmung von männlicher Stärke ist zentral für die Anziehungskraft der ›natürlichen‹ Rastas auf die Frauen. In deren Vorstellungen von Geschlechterrollen hat das Männliche als Dominantes durchaus einen Stellenwert. Ein dualistisches Bild von Frauen und Männern, das auf hierarchischen Machtverhältnissen beruht, bleibt bestehen. Je weiter die Frauen an die Grenzen ‘weiblichen’ Verhaltens drängen und sich zunehmend auch ›männliche‹ Qualitäten aneignen, desto mehr werden sie mit verinnerlichten Vorstellungen von männlicher Stärke konfrontiert. Sie nähern sich der Potenz und Stärke des Männlichen, indem sie mit der Macht finanzieller Überlegenheit experimentieren. Obwohl die Hustler nicht auf der Suche nach neuen Geschlechterrollen sind, beeinflusst die Beziehung auch ihre Identität und bringt sie in Konflikt zu eigenen Geschlechteridealen. Die Toleranz jamaikanischer Männer bezüglich weiblicher wirtschaftlicher Unabhängigkeit unterscheidet sich wesentlich von der untergeordneten Position, die sie gegenüber wohlhabenden Touristinnen einnehmen. Zwar haben beide Individuen Einfluss auf die Beziehung, aber die Touristin hat ungleich mehr Macht, die Situation zu bestimmen. Die Folge der Überlegenheit der Touristin ist, dass die Rastafari-Kultur und selbst das Geschlecht des Partners zur Ware werden. Romanze-Tourismus wiederholt die patriarchale Struktur des Tourismus, indem ungleiche Machtbeziehungen reproduziert werden. In seiner Funktion, die Wünsche der Touristin zu erfüllen, ordnet der Romanze-Tourismus die einheimische Kultur unter. Soziale und ökonomische Ungleichheiten wie auch die Weltanschauungen und Stereotypen beider Partner tragen dazu bei, dass die Beziehungen im Romanze-Tourismus beängstigend ähnlich jenen Machtverhältnissen sind, die zwischen den Gesellschaften der Partner bestehen. Nur findet die Vermittlung nicht mehr auf nationalstaatlicher, sondern auf persönlicher Ebene statt. Das Durchbrechen von Tabus und Herausfordern von Traditionen durch Romanze-Tourismus eröffnet sicherlich neue Chancen sozialer Beziehungen. Das Ergebnis aber ist ungewiss und birgt die Möglichkeit in sich, vieles von dem zu wiederholen, was es eigentlich überwinden wollte.

Stark gekürzte Fassung aus: Christian Stock (Hrsg.): Trouble in Paradise. Düsseldorf 1997




Jeder Kubaner könnte ja ein jinetero sein

von Alexandra Nitz

»Die glücklichsten Augenblicke als Tourist scheinen immer die zu sein, in denen man zufällig über etwas stolpert, während man eigentlich etwas ganz anderes sucht.« (Lawrence Block)

Neben mir am Straßenrand grinsende Gesichter auf der Treppe zu einem alten, verfallenen Haus. Rufe: »¡Hola chica guapa, te quiero!« Ich gehe weiter, ohne den vier dunkelhäutigen Jungs einen Blick zuzuwerfen. Als ich an ihnen vorbeilaufe, strecken sie mir ihre Hand entgegen. Soll ich denen jetzt etwa Geld geben, oder was wollen die? Ich bin genervt und verunsichert und versuche, meine Schritte nicht zu beschleunigen, sondern selbstbewusst an ihnen vorbei zu schreiten. Zum Glück ist es nicht Nacht. Da wäre mir die ganze Sache doch etwas zu viel. Doch auch bei stechender Sonne zehrt mir der Spießrutenlauf durch das Zentrum Havannas bis zum nächsten Supermarkt ziemlich an den Nerven.

Im Supermarkt mit gut dreiviertel leeren Regalen warte ich darauf, an die Reihe zu kommen, um zwei Flaschen Wasser zu kaufen. Ein dunkelhäutiger Kubaner, so Mitte Zwanzig spricht mich an. Er ist sehr freundlich, ich bin skeptisch. Zögerlich beginnen wir ein Gespräch und sofort bietet er mir seine Dienste als Stadtführer an. Da ich noch einiges zu erledigen habe und mich kaum auskenne, nehme ich sein Angebot an. Schon nach kurzer Zeit denke ich, dass dies keine falsche Entscheidung war. Als wir dann zu zweit durch die Straßen ziehen, ruft mir niemand mehr etwas hinterher. Keine ausgestreckten Hände grinsender kubanischer Jungs. Ich habe also einen »Bodyguard«. Nach einer Stunde bin ich mit meinen Erledigungen fertig. Dank Ramóns Hilfe ging alles viel schneller; kein Herumirren mit dem Stadtplan in der Hand, keine verschiedenen Richtungsangaben unterschiedlicher Leute, alles hat reibungslos geklappt. Yeah, auch das kann Kuba sein! Ich spendiere Ramón ein Getränk und wir setzen uns auf einen schattigen Platz mitten in »La Habana Vieja«, der Altstadt Havannas. Hier tummeln sich viel mehr Touristen als in der Nähe meiner Unterkunft.

»Gibt es auf Kuba schon immer so viele Touristen?« will ich von Ramón wissen. »Na ja, es werden mit jedem Jahr mehr, so vor etwa 15 Jahren gab es noch nicht wirklich viele. Die anderen Wirtschaftszweige Kubas vegetieren schon lange vor sich hin. Da setzt der Staat eben auf den Tourismussektor.« Wir unterhalten uns lange, fast drei Stunden. Ich habe das Gefühl, Kuba und seine Menschen zu spüren. Dann wird es Zeit für mich, zu meinem casa particular zurückzukehren, denn die freundliche Besitzerin wird für mich ein Abendessen kochen. Hühnchen mit Reis, Bohnen und Salat soll es geben. Wir hatten gerade den Platz verlassen, da hält uns ein Polizist an. Er fordert Ramóns Ausweis, notiert sich dessen Nummer, füllt einen Zettel aus und gibt ihn Ramón. Ich stehe schweigend daneben, denn ich bin mir nicht sicher, ob es gut oder schlecht ist, wenn der Polizist mitbekommt, dass ich Spanisch spreche. Er soll es aber anscheinend wissen, denn Ramón beginnt ein Gespräch mit mir, während der Polizist mit dem Ausfüllen des Zettels beschäftigt ist. Ramón erhält die eine Hälfte des Blattes, dann verschwindet der Polizist grußlos und endlich kann ich fragen, was das gerade eben denn war. »Der Idiot hat mir eine Geldstrafe aufgedrückt«, ärgert sich Ramón. »Wieso?« »Fidel will nicht, dass wir die Touristen belästigen, deswegen versucht er unseren Kontakt zu ihnen zu unterbinden, denn jeder Kubaner könnte ja ein jinetero sein. Aber davon sollen die Touristen nichts mitbekommen. Wenn du jetzt weitergegangen wärest, hätte er mich gleich mit auf die Wache genommen. Da gäben sie dann meine Daten in den Computer ein und wenn die mich nochmals mit Touristen erwischen, tja, falls ich Pech hätte: Gefängnis.« Ich bin noch völlig irritiert von dem Gedanken, als Ramón fortfährt: »Gut, dass du dageblieben bist. So konnte ich sagen, dass wir gute Freunde sind. Deshalb habe ich nur eine Geldstrafe bekommen.« Ramón zieht drei braune Blätter aus seiner Hosentasche. »Ich habe schon einige von diesen Zetteln. Bald muss ich auf die Wache und die Strafe zahlen, sonst gibt es richtig Ärger.« Die Situation ist mir peinlich. Ramón bekommt Unannehmlichkeiten, nur weil ich mit ihm durch Kubas Hauptstadt laufe! Schon sehr seltsam...»Kubaner sind hier weniger wert als die Touristen, deswegen wollen sie die vor uns beschützen. Eine eigene Meinung dazu dürfen wir hier nicht haben. Was wir wollen, ist denen egal.«

Am Abend treffen wir uns in einer gemütlichen Bar mit kubanischen Musikern. »Was arbeitest du?« will ich wissen. »Früher habe ich Obst ge- und dann verkauft. Aber das bringt kaum was ein, davon kannst du nicht leben. Jetzt vermittle ich Taxis oder Zimmer an Touristen.«»Was bekommst du denn dafür?« »Für jede Nacht, die ein Tourist in dem casa particular verbringt, bekomme ich 5 US$. Der Tourist weiß das meistens nicht. Die Unterkunft kostet dann eben 25 US$ anstatt 20 US$ pro Nacht.« »Aha. Dann bist du also ein jinetero?« vermute ich. »So gesehen ja, aber für dich bin ich ein Freund!« Ich freue mich, das zu hören. »Wenn man aber in Kuba mit legalen Jobs nur so wenig verdient, wie kommt man dann zu Geld? Gibt es keine Arbeit, die zum Überleben reicht? Wo verdient man am meisten, wenn man nicht illegal arbeitet?« »Dort«, sagt Ramón und zeigt auf den Barkeeper. »Der bekommt nicht schlecht Trinkgeld – und das in Dollar.« Die Musiker fangen nach einer kurzen Pause wieder an zu spielen. Während einer der Musikanten mit einem Spendenkörbchen herumgeht, denke ich bei mir, dass sie so an wenigen Abenden mehr verdienen als ein Professor an der Uni in einem Monat. Ich nippe wieder an meinem Mojito. Um Mitternacht bringt mich Ramón zu meinem casa particular zurück. »Sehen wir uns wieder?« fragt er. »Ja, morgen. Um 11 Uhr am Capitolio?« frage ich. »Ok. ¡Hasta mañana!« Er verschwindet in der kaum beleuchteten Gasse.

FernWeh 2004




Bumsters in Gambia


Wir Bumsters sind arbeitslose gambianische Jugendliche, die ihren Kopf einsetzen, um etwas zu bekommen, und das geht voll in Ordnung, solange die Touristen nicht ausgebeutet werden. Die Regierung kann uns nicht in Lohn und Brot bringen, also müssen wir uns selbst helfen. Touristen sind eine besondere Personengruppe. Sie tragen zur Wirtschaft des Landes bei, also müssen wir sie sorgfältig behandeln. Wir müssen sie mit allem versorgen, was sie wollen, damit sie glücklich sind und wiederkommen. Obwohl ich manchmal auf weiße Frauen treffe, die wirklich an Sex interessiert sind, sage ich lieber nichts darüber, weil ich ihre Gefühle respektiere. Aber ich muss sagen, dass ich es getan habe, nicht einmal, nicht zweimal – viele Male. Es ist wie ein Job. Ich hätte so etwas nie getan, wenn ich wenigstens einen Sekundarschulabschluss hätte. Ich verdiene während der Saison über 50 Dalasi am Tag, aber ich will mehr als das Geld. Ich möchte Kontakt zu diesen Frauen haben – ich treffe pro Saison vier oder fünf davon – für geschäftliche Zusammenarbeit in touristischen oder sonstigen Projekten. Sie versprechen, den Kontakt zu halten, aber wenn sie weg sind, hört man nie wieder von ihnen. Ich würde gerne in der Baubranche arbeiten, wenn meine Pläne gut gehen. Aber heutzutage ist es nicht einfach, seine Wünsche zu verwirklichen.

von Ismaila, Anfang 30

Ich hoffe, dass ich eines Tages eine europäische Frau treffen werde, die ich heiraten kann und mit der ich in Europa leben würde. Ich bin Moslem und bete jeden Tag dafür. Darum stehe ich auch jeden Tag früh morgens auf, zieh mich an und geh zum Strand, wo ich dann bis am Abend bleibe. Ich würde wirklich gerne eine weiße Frau treffen, die meine Probleme erkennt, ohne sie ihr erklären zu müssen.

Ich bin seit sechs Jahren Bumster. Ich kam vom Land, um eine Beschäftigung zu suchen und war anfänglich sehr enttäuscht. Später fand ich bumsting, als vorübergehende Lösung, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich bin der Meinung, dass es ein ehrenwerter Job ist, weil es nicht mehr bedeutet, als sich mit TouristInnen anzufreunden. Vor allem mit den Touristinnen, mit denen wir manchmal besondere Beziehungen eingehen.

Ich möchte gerne zu einem Berufsorientierungszentrum gehen und lernen, wie man den Computer benutzt. Das ist nach wie vor meine Ambition. Aber ich kann das zur zeit nicht tun, weil es zu Hause viele hungrige Mäuler gibt.

In meinem ersten Jahr traf ich mich mit einer britischen Frau. Auch wenn es dazu kam, dass wir Sex hatten, denke ich, dass sie speziell war. Sie verstand es, mich zu unterhalten und war sehr fürsorglich. Sie mochte meine Familie und ließ fast all ihre Kleider bei meiner Schwester. Aber leider starb sie und das war unglücklicherweise das Ende von allem, was zwischen uns war. Nun habe ich vier Freundinnen, die vor allem wegen Sextourismus kommen. Alle von ihnen sind schwedisch und kommen zu unterschiedlichen Zeiten. Ich mag die Art weißer Frauen. Sie sind immer vorsichtig und insistieren auf Kondome.

Auch wenn »meine« Freundinnen manchmal nett sind, kann ich nicht aufhören zu denken, dass ich in meinem eigenen Land ausgebeutet werde. Ich muss TouristInnen zur Verfügung stehen, um 300 oder 400 Dalasi (£14 oder £18) zu verdienen.

Manchmal ist es schwer, TouristInnen auf sich aufmerksam zu machen. Nicht alle wollen das. Es gibt Zeiten, wo die Dinge hier so schwierig werden, dass ich nicht zögere und nach Hause gehe. Ich schäme mich, meiner Familie ohne Geld gegenüber zu treten.

von Lamin, Mitte 20

Ich habe nur drei weiße Frauen in meinem Leben. Ich mag nicht mit zu vielen Touristinnen Zeit verbringen, weil man nie weiß, wer Aids hat. Ich will damit nicht sagen, dass weiße Touristinnen diese Krankheit haben, aber Fremden gegenüber muss man vorsichtig sein.

Ich habe zwei der drei Damen am Bakau Strand getroffen - eine nachdem ich ihr einen sicheren Ort zum Schwimmen gezeigt habe und die andere bei einem Strandpicknick, mit lokalen FreundInnen, zu dem sie eingeladen war. Für die andere Dame, eine Witwe, habe ich den Service ihres Autos übernommen und sie entwickelte langsam Zuneigung zu mir.

Ich fühle mich nicht ausgebeutet, weil den Sex beide Seiten genießen. De facto glaube ich, dass ich bei dem Deal besser aussteige, weil die Frauen viel für mich tun, in Form von Geld und materiellen Dingen. Ich mag sie, weil sie dich nicht mit Forderungen nach Geld belästigen oder anderen Ansprüchen, wie es unsere gambianischen Mädchen tun.

Ich fühle mich wirklich leer ohne diese drei Frauen, weil es die einzigen sind, mit denen ich leben kann. Ich komme vom Oberland und habe hier keine Verwandten. Ich lebe alleine. Wenn sie nicht hier sind, verrichte ich meine Arbeit als Mechaniker. Mit ihrer Hilfe, würde ich gerne nach Europa gehen und Mechanik studieren, um dann zurückzukommen und eine eigene Werkstätte zu eröffnen.

Ich würde gerne eine Europäerin heiraten, weil sie genau wissen, wie man eine Beziehung aufrechterhält. Ich wurde in eine muslimische Familie geboren, aber ich glaube, dass ich mit einer nicht muslimischen, weißen Frau kooperieren könnte, die glaubwürdig ist und mir bei meinen Problemen beisteht. Meine Wahl fällt dabei auf eine britische Frau, älter als ich, aber nicht mehr als sechs oder sieben Jahre.

von Ousman, Mitte 30

Aus: being there, Broschüre von Tourism Concern, 2001

www.tourismconcern.org.uk





Wild – Fremd – Frau

von Rosaly Magg

Weiblichkeitsbilder im Tourismus

»Im Namen unserer Lotusblüte binden wir ihnen einen Strauß bunter Urlaubsträume« – zwei junge, mit Lotusblüten geschmückte Thailänderinnen gehen lächelnd auf die BetrachterInnen zu und reichen ihre Gaben in Form von Essen. Die zwei »Paradiesschönheiten« stehen ebenso für Fremde und Exotik wie für das Bild der unterwürfigen, dienenden Frau. In seinem Reiseprospekt will ›Lotus Reisen – Ihr Fernostspezialist‹ sein Publikum mit dem »Duft der Lotusblüte« betören und nicht zuletzt sexuelle Phantasien wecken.

Im Tourismus wird die Fremde sexualisiert und die Frau exotisiert. Ebenso wie viele Reiseländer seit Jahrhunderten als sexuelle Paradiese stilisiert werden, wird die Frau an sich – und insbesondere die fremde Frau – auf ihre Weiblichkeit reduziert und zur Stellvertreterin des ›Anderen‹ schlechthin gemacht. Die Fremde wird zum Frauenkörper, der entdeckt und erobert werden muss. Über den sexualisierten Blick auf andere Länder und fremde Frauen offenbart wie reproduziert sich ein Machtverhältnis, das mit der Abwertung von fremden Kulturen sowie von Weiblichkeit einhergeht. Insbesondere auf Reisen wird deutlich, dass Rassismus und Sexismus dieselben Wurzeln haben. Beide Ideologien zielen auf eine Hierarchisierung von Menschen ab und führen diese auf biologische Ursachen zurück. Beide konstruieren ein Bild eines angeblich minderwertigen ›Anderen‹, das unterdrückt und beherrscht werden muss. Aufgrund der Verbindung von Unterdrückung und Naturhaftigkeit liegt die Versuchung nahe, sexistische Unterdrückung von Frauen und rassistische Diskriminierung gleichzusetzen. Bis in die 80er Jahre hat die feministische Diskussion Frauen und unterdrückte Kulturen aufgrund der ihnen eigenen Diskriminierung als gleichermaßen Unterdrückte und damit Verbündete gesehen. Unterschlagen wurde dabei, dass es verschiedene Arten von Unterdrückung gibt, die sich zum Teil überschneiden oder auch widersprechen. Frauen sind nicht nur Unterdrückte, »sondern sie sind aufgrund ihrer Beziehungen zu Männern auch in diese Gesellschaft eingebunden und damit je nach Klasse und ethnischer Zugehörigkeit privilegiert« (Rommelspacher). Westliche Touristinnen gehören also, sobald sie in Ländern der so genannten ›Dritten Welt‹ unterwegs sind, zur beherrschenden Macht und sind Vertreterinnen der globalen Weltordnung. Auch sie entwerfen Bilder von unterlegenen, minderwertigen ›Wilden‹ und sexuell ausschweifenden ‘Eingeborenen’ und schließen damit an bis heute wirksame Bilderwelten aus der Kolonialzeit an. Sie können damit Diskriminierte und Privilegierte zugleich sein.

So knüpften Frauen oft nahtlos an Eroberungsmetaphern männlicher Entdecker an, wenn sie sich in der Rolle als schreibende Touristinnen neu erfinden. Die Reiseschriftstellerin Sara Wheeler betritt in ihrem Buch über die Antarktis »angestammtes männliches Territorium« und stakst mit ihren »riesigen Stiefeln herum wie Gulliver«. Moderne Reiseschriftstellerinnen nehmen oft einen verklärenden, exotistischen Blick auf andere Kulturen ein, indem sie das Reine und Unverfälschte dieser Kulturen ins Zentrum rücken. Sie projizieren damit unreflektierte Rassismen in ihr Bild von dem Fremden. So ist Bettina Selby auf ihrer Reise durch Afrika auf der Suche nach »echtem Kontakt« zu Nomadenvölkern. »Eine gewisse Eigenart schien sie zu umgeben, ganz ähnlich wie das Rotwild in den Bergen – etwas Freies und Wildes – aber im wesentlichen Unbedrohliches«. Enttäuscht muss sie feststellen, dass ihre Wunschvorstellungen von einer dem Urzustand nahen Nomadenkultur kaum vorfindbar sind. Innerhalb dieser Wunschvorstellungen ist der Blick auf die Frau auf deren reproduktive Tätigkeiten beschränkt. »Barbusige Frauen gingen ihrer lebenslangen Aufgabe nach, Hirse zu stampfen«. Außerhalb dieser Projektionen ist die fremde Frau für Selby nicht von Interesse. Für sie – wie für viele andere ReiseschriftstellerInnen – sollen vor allem die Wunschvorstellungen von der Fremde auf Reisen bestätigt werden.


Sexualisierung des Paradieses

In der frühen Reiseliteratur ist die Eroberung des Urwüchsigen und des irdischen Paradieses Ziel der Reise. Durch die Entdeckung wird dieses Paradies jedoch ›zerstört‹ und der Wunschtraum verschiebt sich immer weiter auf die noch unbekannten Gebiete. So bleibt das Paradies immer das Unentdeckte und gleichzeitig Imaginäre, wobei dieses imaginäre Land ebenso sexualisiert wird wie das Bild der Frau. Diese Sexualisierung führt wiederum dazu, sowohl die Frauen als auch das fremde Land als schwach und unterlegen zu bezeichnen.

Koloniale Phantasien beinhalten die unterschiedlichsten Weiblichkeitsbilder. Auf der einen Seite stehen die Memsahib und die Herrscherin; auf der anderen Seite die Konkubine und die nackte, lustvolle Einheimische. Die ›Wilden‹ sind zugleich Produkt und VertreterInnen der Natur. Einerseits werden sie aus einer Zivilisationskritik an der eigenen Gesellschaft heraus als ›edle Wilde‹ mythologisiert, andererseits dienen die diskriminierenden Stereotypen von ›faulen Einheimischen‹ der Affirmation des Eigenen und Besseren.

»Der Kolonialdiskurs und der Geschlechterdiskurs waren eng miteinander verknüpft. Rassische Differenz und Inferiorität wurde in Bildern von Körperlichkeit und Sexualität ausgedrückt. Promiskuität, körperliche Merkmale und ›Perversitäten‹ markierten das Andere an den ›Schwarzen‹. Gleichzeitig stilisierten die Weißen gerade die indigenen Frauen, z.B. wenn sie auf polygame Ethnien trafen, gerne zu Symbolen stillen Leidens und zu Opfern ‘barbarischer’ Kultur. Damit legitimierten sie ihren zivilisatorischen Auftrag. Weiblichkeitsimaginationen dienten also der rassistischen Bebilderung der autochthonen Gesellschaften. Die kolonialen Diskurse reproduzierten jedoch zugleich die Spaltung der Weiblichkeitsphantasien in den ›Mutterländern‹, indem sie sowohl die schwarzen Männer als auch die Frauen als weibisch, leichtsinnig und schwach schilderten.« (Kundrus)

Die Kolonisierung wird von Seiten der ›Entdecker‹ oft in Geschlechterbilder gefasst. So wird das ›jungfräuliche Land‹ erobert, der weiße Mann kann quasi ‘naturhaft’ die ›mütterliche Erde‹ in Besitz nehmen, oder ›weibische Einheimische‹ können und müssen versklavt werden. Sexuelle Metaphern von der Entdeckung ›jungfräulichen Gebietes‹ oder der Penetration des ›dunklen Kontinents‹ beinhalten nicht nur sprachliche, sondern auch tatsächliche Vergewaltigungsphantasien. Die Welt der Eroberer ist die der Männer. Frauen stehen in der Bildproduktion gewissermaßen auf derselben Stufe wie die kolonisierte und unterdrückte Rasse. Dies liegt vor allem daran, dass den Ideologien Rassismus, Kolonialismus und Sexismus die Sexualisierung der von ihnen Bezeichneten gemein ist. Sie alle entwerfen das Bild des sexuell aktiven oder ausschweifenden Mannes, während die Frauen als sexuell verfügbar, gleichzeitig jedoch als verführerisch und bedrohlich gelten. Dieses Hurenstigma wird nicht nur Frauen, sondern auch fremden Ländern zugeschrieben. Mit spärlicher Bekleidung und langen, wallenden Haaren, die über die Brüste fallen, ›wirbt‹ die fremde Frau sozusagen mit ihrer naturhaften Sexualität. Die fremde Frau ist der Inbegriff der Lasterhaftigkeit. Sie rückt in die Nähe von Prostitution und Verderbtheit. Sie verkörpert eine ihr zugeschriebene erotische Anziehungskraft, die sie verführerisch macht, die aber auch beherrscht und kontrolliert werden muss. Die fremde Frau ist somit per se sexuell verfügbar und wird mit dem Stigma der Hure belegt. Das Paradoxe an diesem Hurenstigma ist, dass der fremden Frau Laszivität, Naturnähe, Unterlegenheit und im selben Atemzug eine gewisse Schamhaftigkeit zugeschrieben werden, die der Gefahr des Dämonischen entgegenstehen soll. Diese den Frauen zugeschriebene naturhafte Schamhaftigkeit soll das Bedrohliche in Schach halten. Um diese bedrohliche Nähe schlussendlich zu bannen, wird die Frau unterworfen.


Die Kolonisierung der Körper

In der Geschichte des Sextourismus äußert sich eine eklatante Verbindung von Sexismus und Rassismus. Die kolonialgeschichtliche Fortsetzung der Eroberung findet hierbei auf körperlicher Ebene statt. Seit der Kolonialzeit gilt Sex von weißen Männern mit indigenen Frauen als legitime Handlung. Wenn sich jedoch weiße Frauen mit indigenen Männern einlassen, wird dies bis heute als Herabwürdigung der Frau und als Sieg der Fremden über die Weißen auf sexueller Ebene angesehen. Hierbei überkreuzen sich die Machtstrukturen, denn weiße Frauen sollen nicht dieselben Privilegien wie die männlichen Eroberer genießen. Die noch relativ junge Entwicklung in afrikanischen, karibischen und lateinamerikanischen Staaten zeigt jedoch, dass immer mehr westliche Frauen in ferne Länder reisen, um sich einen Latin oder African Lover während ihres Auslandsaufenthaltes zur Seite zu stellen. Sie demonstrieren in diesem umgekehrten Sextourismus ihre Macht über die von ihnen bereiste Kultur und erzählen zu Hause stolz von den sexuellen Qualitäten schwarzer oder der glühenden Leidenschaft lateinamerikanischer Männer. Sie versuchen auf diese Art, sich auf sexueller Ebene zu emanzipieren und an westlichen Paradiesvorstellungen teil zu haben. Der Bestseller »Die weiße Massai« von Corinne Hofmann demonstriert diese Verbindung von Erotik und Exotik auf Reisen besonders deutlich. Die Geschichte des Buches ist schnell erzählt. Hofmann reist nach Afrika und heiratet einen »schönen Massai, ihren Krieger«, mit dem sie sich eine »wildromantische« Beziehung erträumt, die ihr erlauben soll, mit dem fremden Land eins zu werden. Das Verschmelzen mit der Fremde ist hierbei eine typisch weibliche Umgangsweise mit dem Fremden im Gegensatz zu den Eroberungs- und Unterwerfungsstrategien von Seiten der Männer. Doch auch bei dieser spezifisch weiblichen Strategie überschneiden sich die Machtverhältnisse, denn als weiße Frau nimmt Hofmann eine privilegierte Stellung gegenüber den Massai ein. Gleichzeitig ist sie nach ihrer Heirat die Unterlegene im Geschlechterverhältnis und kehrt deshalb bald nach Europa zurück. Reisende wie Hofmann können weder die herrschenden Weiblichkeitsdiskurse umkehren noch die rassistischen Konstruktionen der Fremde in Frage stellen. Durch ihre romantische Sehnsucht nach dem ›edlen Wilden‹ reproduzieren sie diese ständig neu.


Sexualisierung der Fremde

Ohne Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der eigenen und in der fremden Kultur wäre es unmöglich, den Tourismus in der heutigen Form aufrechtzuerhalten. Hierzu zählen auch die Vorstellungen, die Frauen in reichen und in armen Ländern von Reisen, Amüsement, Höflichkeit, Sexualität und Geschlechtertrennung haben. Auf Reisen offenbart sich die Geschlechtersymbolik in vielen Details. Die Bilder in den Köpfen von TouristInnen früher wie heute stellen Zusammenhänge zwischen Fremdheit, Wildheit, Unterlegenheit, Unbekanntem und Weiblichem her. Ebenso wie die Fremde sexualisiert wird, werden fremde Frauen erotisiert. Fremde Frauen sind dabei einer doppelten Fremdheit unterworfen, denn sie sind zum einen Vertreterinnen ihrer Kultur und gelten als schwach und unterlegen. Zum anderen werden sie als Vertreterinnen ihres Geschlechts in einem zweifachen Weiblichkeitsdiskurs unterworfen und als das ›Andere‹ schlechthin stigmatisiert. Ob sich diese Zuschreibungen in Zukunft verschieben werden oder verändern lassen, ist fraglich. Aber mit zunehmender Kenntnis dieser Stereotype wäre es wünschenswert, dass das Fremde zwar als solches wahrgenommen, aber nicht nur durch die eigene, westliche Brille gedeutet wird.

Stark gekürzte Fassung aus: Backes u.a. (Hg): Im Handgepäck Rassismus. Freiburg 2002





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